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Bettnässen: "Wir müssen das Schweigen endlich durchbrechen"

Tabuthema Bettnässen: Aus falscher Scham wird nur jedes fünfte Kind behandelt

Mindestens 60.000 Kinder in Österreich sind Bettnässer. Behandelt wird allerdings nur jedes fünfte. Schuld sind meist falsche Vorstellungen und falsche Scham der Eltern. "Wir müssen dieses Schweigen endlich beenden", sagt Waltraut Witowetz-Müller, Bundesvorsitzende der Österreichischen Kinderfreunde. Denn Bettnässen ist nach wie vor ein Tabuthema. "Deswegen haben wir eine Beratungs-Hotline eingerichtet, die als Schaltstelle zwischen Eltern und Ärzten dient", so Witowetz-Müller.

Neun von zehn Eltern glauben, dass psychische Probleme eines Kindes die Hauptursache für Bettnässen sind. Und liegen damit grundfalsch. "Bei 70% der Kinder wird in der Nacht einfach zuviel Harn produziert", räumt Univ.-Prof. Helmut Madersbacher, Leiter der neuro-urologischen Ambulanz an der Universitätsklinik Innsbruck, mit der gängigen Fehlmeinung auf. Bei 15 Prozent ist eine nicht ausgereifte Harnblase die Ursache; psychische Gründe liegen bei ebenfalls 15 Prozent der Kinder vor.

Normalerweise wird ein Kind ab dem zweiten Lebensjahr untertags "sauber"; mit fünf sollte es auch in der Nacht trocken sein. "Damit das geschieht, darf die nachts produzierte Harnmenge natürlich nicht größer sein als das Fassungsvermögen der Blase", so Madersbacher.

Produzieren die Nieren von Säugling und Kleinkind über 24 Stunden gleichmäßig Harn, wird mit dem Älterwerden in der Nacht weniger, dafür konzentrierterer Harn ausgeschieden. Verantwortlich dafür ist das Hormon Adiuretin, das nächtens vermehrt ausgeschüttet wird. "Dieser Rhythmus entwickelt sich beim Kind erst und braucht Zeit", so Madersbacher. Nässt ein Kind nachts regelmäßig ein (öfter als dreimal im Monat), obwohl das auf Grund des Alters nicht mehr der Fall sein sollte, spricht man von einer Enuresis. "Diese ist medikamentös sehr gut behandelbar", sagt der Kinderurologe Marcus Riccabona (siehe unten). "Und eines sollten Eltern auch wissen: Bettnässen ist in hohem Maße vererbt."


Nasenspray gegen die Harnflut

Vorurteile führen dazu, dass viele Kinder, die einnässen, nicht behandelt werden. "Wir wissen, dass sie aber sehr darunter leiden. Und das kann zu psychischen Problemen führen", sagt Riccabona. Die Abklärung ist einfach: Eine körperliche Untersuchung, Ultraschall von Niere und Harntrakt und ein Miktionsprotokoll: Dabei wird kontrolliert, wieviel Harn am Tag und in der Nacht abgegeben wird. Ist die nächtliche Summe größer als die höchste Harnportion am Tag, liegt ein Hormonmangel vor.

Diese Enuresis, die in den meisten Fällen die Ursache für das Einnässen ist, ist gut erforscht und kann leicht behandelt werden. "Es handelt sich um einen Nasenspray, der unmittelbar vor dem Schlafengehen verabreicht wird", sagt der Wiener Kinderarzt Univ.-Prof. Franz Waldhauser. Nach sechs bis neun Monaten Behandlungsdauer sind 70 bis 80 Prozent der betroffenen Kinder trocken.

Als Alternative gibt es auch die "Klingelhose", ein Alarmgerät, das anschlägt, wenn das Bett nass ist. Der Erfolg dieser Verhaltenstherapie ist gut, allerdings nur, wenn das Training konsequent durchgeführt wird.

©Kurier

Unser Kommentar: Schlägt das Imperium zurück? Seit einiger Zeit wird im Sinne des obigen Artikels verstärkt auf die Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung des Bettnässens - und auf dessen Vererbung! - hingewiesen. Aus unserer Sicht zu einseitig und zu tendenziell.

Tatsache ist, daß Bettnässen durch oben beschriebenen Hormonmangel verursacht werden kann. Die im Artikel erwähnte diagnostische Abklärung wäre in jedem einzelnen Fall notwendig, unterbleibt leider aber manchmal, das Medikament wird oft auch auf Verdacht verabreicht. Und: was geschieht mit den 20 bis 30 Prozent der Kinder, die das Medikament über Monate verabreicht bekommen und nicht darauf ansprechen?

Im Artikel unerwähnt bleibt auch, daß es nicht nur nächtliches Einnässen gibt, sondern daß Enuresis auch tagsüber vorkommt - nicht selten auch ausschließlich tagsüber, während die Kinder nachts trocken sind. Durch Meldungen wie die obige wird undifferenziert suggeriert, daß so gut wie alle Fälle von "nicht trocken werden" durch Hormonmangel bedingt sind und medikamentös behandelt werden müssen - und das trifft sicher nicht zu.

Genauso falsch wie die Haltung "alles ist körperlich verursacht" ist auch die Haltung "alles ist psychisch bedingt". Nur eine genaue diagnostische Abklärung - sowohl der medizinischen wie auch der psychischen Komponenten - kann Aufschluß darüber geben, welche Form der Behandlung die für das jeweilige Kind angebrachte und geeignete ist. Das kann eine Hormonbehandlung sein oder kann eine Psychotherapie sein.

 

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