Zuviel Fernsehen ist für Kinder ungesund
von Werner Windhager
Ein Werbespot für Kindermilchschnitten, gefolgt von einem Spendenaufruf für
Kosovoflüchtlinge, ein Nachrichtenblock und anschließend
Megaperls: Eine ganz normale Viertelstunde tägliches TV-Programm.
Ein Erwachsener kann diese unterschiedlichen Informationen im
Normalfall problemlos verkraften. "Kinder werden durch diese gegensätzlichen Inhalte aber oft
überfordert", sagt die Kinderärztin Univ.-Prof.
Marguerite Dunitz-Scheer.
Ihrer Ansicht nach werden die Nebenwirkungen des Fernsehens auf Kinder "absolut unterschätzt."
"Wir sind nicht grundsätzlich gegen das Fernsehen", sagt Univ.-Prof. Helmut Gadner,
Präsident der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendheilkunde. "Wir Kinderärzte werden aber täglich mit den Folgen des Fernsehens - sowohl
körperlichen als auch psychischen - konfrontiert." Hyperaktivität, Teilleistungsschwächen,
Angstzustände, Schlafstörungen, sogar Schmerzen können die Folge von zuviel Fernsehen sein.
Können, müssen aber nicht. "Das Fernsehen hat eher eine Verstärker-Wirkung", meint der
Kinderpsychiater Univ.-Prof. Michael Millner. So sei es für Kinder schwierig, die rasanten
Schnitte von Action- oder Trickfilmen als Zeitraffung zu erkennen. "Man könnte sagen, daß
es sich dabei um eine Beschleunigung der inneren Uhr handelt", so Millner.
Durch diese Beschleunigung würden Kinder nicht zur Ruhe kommen, "sie werden zur hektischen Kopie ihrer
TV-Welt."
Die durchschnittliche Fernsehzeit von Kindern und Jugendlichen liegt bei zehn bis 20 Stunden in der
Woche. "Es ist damit für diese Altersgruppe das wichtigste Medium", sagt der Kinderarzt
Univ.-Prof. Ingomar Mutz. Fernsehen an sich könne durchaus viel leisten: Es bietet
Unterhaltung, Information, Mäglichkeiten zur Bildung im weitesten Sinn. Auf der anderen Seite
reduziert die Zeit vor dem Fernseher die Zeit für Sport und Spiel. "Und außerdem begünstigt
Gewalt im Fernsehen eindeutig aggressives und antisoziales Verhalten", so Mutz.
Gerade Kinder könnten nicht so einfach zwischen der Wirklichkeit und TV-Inhalten unterscheiden.
"Die Kinder werden für Gewalt desensibilisiert und bekommen den Eindruck vermittelt, in einer
schlechten Welt zu leben." Diese Grundhaltung würde dann oft im späteren Leben umgesetzt.
Allerdings stellt sich die Frage, warum Gewalt so gerne gesehen wird (wie die Einschaltziffern belegen). "Der
Reiz liegt in der Vorhersehbarkeit und der Kontrollierbarkeit der Gewalt im Fernsehen", sagt der
Medienpsychologe Univ.-Prof. Peter Vitouch.
Untersuchungen hätten gezeigt, daß gerade Kinder, die schon unter Angststörungen leiden,
das größte Bedürfnis nach Zeit vor dem Fernseher haben. Allerdings sei nicht allein das
Angebot der TV-Anstalten das Problem, sondern auch die Nutzung: "Wenn der Fernseher dauernd im
Hintergrund läuft, kann man schließlich schwer feststellen, was ein Kind gerade anschaut."
Kinderärzte: Das Fernsehen sollte nicht als "elektronische Großmutter" verwendet werden.
In vielen Fällen wird das Fernsehen gerne als kostenloser Babysitter verwendet. Ganz
schlecht, wie die Kinderärztin Dunitz-Scheer, selbst Mutter von sechs Kindern, sagt: "Die
Verarbeitung der gesehenen Bilder ist auch für das intelligenteste Kind unmöglich."
Grundsätzlich sollten Kleinkinder - wenn überhaupt - nur minutenweise fernsehen, und das nur in
Anwesenheit einer vertrauten Bezugsperson.
"Und auch später empfiehlt es sich, wenn Eltern die Programmauswahl kontrollieren und
wenn nötig auch beschränken", so Dunitz-Scheer.
Sprechen Eltern aber ein Fernsehverbot aus, sollten sie entsprechende Alternativen
anbieten. "Die Eltern müssen sich auch selbst einbringen", sagt Medienpsychologe Vitouch. Wichtig
sei, daß sie in punkto TV-Konsum ein nachahmenswertes Vorbild darstellen: "In vielen Fällen
geschieht aber genau das Gegenteil", so Vitouch. Und das Motto "Wenn du brav bist, darfst
du eine halbe Stunde länger fernsehen", sei ebenfalls ein schlechter Weg. Vitouch: "Dadurch
wird eine an sich alltägliche Angelegenheit künstlich wichtig gemacht."
Gegen das Alleinfernsehen von Kindern im Vorschulalter spricht sich auch Kinderpsychologe Millner
aus: "Ein dreijähriges Kind sieht im Fernsehen nicht das, was ein
Erwachsener sieht. Sie können die Einzelbilder nicht zu einem Handlungsablauf zusammensetzen."
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