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Auf Irrfahrt durchs Leben

von Birgit Oberwalder

 

Früher konnte man das Leben generell in vier Phasen einteilen. Heute hat sich, vor allem durch die Verlängerung der Ausbildungsphase, vieles verändert. Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, dass man den Lebenslauf nicht mehr nur in Kindheit, Jugend, Erwachensein und Alter einteilen kann. William Galston von der Brooking Institution nennt die in Bewegung geratene Zeit zwischen Jugend und Erwachsenenalter daher eine Odyssee.

 

Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für den langen Ausbildungsweg und dadurch kommt es zu einer Verschiebung der Lebensphasen. Gewöhnlich wuchs ein Kind zu einem Jugendlichen heran und mit dem Einstieg ins Berufsleben war das Erwachsenenalter erreicht. Nach dementsprechend vielen Arbeitsjahren setzte sich der berufstätige Erwachsene zur Ruhe und somit wurde der letzte Lebensabschnitt ­ das Alter ­ erreicht. Nun stellt sich diese Entwicklung zunehmend anders dar. Die ­ aus früherer Sicht ­ Erwachsenen (weil in diesem Alter) bleiben aus wirtschaftlicher Sicht unselbständig da sie durch ihre Ausbildung nicht als klassische Arbeiter gelten und oft noch durch die Familie finanziell unterstützt werden (oder in prekären Umständen leben). Zu verweisen ist hier allerdings darauf, dass zum einen Studieren als Arbeit zu sehen ist (zumindest im Mindestzeit-Rahmen) und aufgrund von Stipendien und zusätzlich Arbeit neben der Ausbildung zur Finanzierung des eigenen Studiums durchaus von Selbstständigkeit zu sprechen ist.

Noch nicht "groß", aber "klein" auch nicht mehr

Noch vor vierzig Jahren folgte auf die Ausbildung der Beruf, die Partnerfindung und Familiengründung mit Hausbau und schlussendlich Rente. Mit etwa 25 Jahren verließ man das Elternhaus um ein selbstständiges Arbeitsleben zu führen, zu heiraten und Kinder zu zeugen. Junge Menschen, oft noch in Ausbildung, verhalten sich heute anders. Sie wandern umher, haben wechselnde Partnerschaften, wechseln Ausbildungswege und viele wohnen noch zu Hause. Der Lebensweg ist noch nicht so deutlich vorherzusehen. Betroffene ordnen sich selbst weder als Jugendliche ein, noch fühlen sie sich als Erwachsene. Es wird immer weniger und später geheiratet und Kinder werden erst später geboren. Der Arbeitsmarkt lässt nur noch bedingt eine Fixanstellung auf lange Zeit zu. 40 oder 50 Jahre in einem Betrieb zu arbeiten ist heute eher die Ausnahme. Die Arbeit und der Lebensstil sind flexibler geworden. So leben Paare, bevor sie heiraten, jetzt meist erst eine Zeit lang in "wilder Ehe" zusammen, wobei die Amerikaner in diesem Fall hinter Europa "nachhinken". In den USA wechseln nicht so viele Menschen die Arbeit und/oder Ausbildung wie in Europa. Auch lassen sich die Amerikaner nicht so lange Zeit, wenn?s ums Heiraten geht.

Grund für die Annahme einer Odyssee ist die Studie von Galston über die "Changing Twenties". Aus dieser Untersuchung geht hervor, dass 1970 nur 21 Prozent der über 25jährigen nicht verheiratet waren (USA), 2005 jedoch stieg der Anteil der Unverheirateten auf 60 Prozent. Viele unverheiratete Erwachsene zwischen 25 und 29 leben noch bei ihren Eltern (18% der Männer, 14% der Frauen).

Peter Pan Syndrom

Die Frage, die sich hier stellt ist natürlich, ob Menschen nun nicht mehr erwachsen werden wollen oder ob sich die Gesellschaft und ihre Bedingungen sich dermaßen geändert haben, dass es zwangsweise zu einer Verzögerung kommt? Schenkt man der Statistik Glauben, so steigt die Lebenserwartung jährlich und somit spricht im Grunde genommen auch nichts dagegen, längere Schulbildung und Ausbildung zu absolvieren, die Kinder länger zu "behüten" und auch länger zu arbeiten. Der Arbeitsmarkt verlangt nach immer mehr Fachkräften, die allerdings eine langwierige Ausbildung benötigen. Auf der andern Seite werden einfache Arbeiten entweder durch Maschinen oder billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland ersetzt oder überhaupt in Billiglohnländer verlegt. Weiters können feste Beziehungen und Kinder dem Bestreben der einzelnen Menschen, im Arbeitsmarkt zu bestehen, hinderlich sein. Verzögertes Erwachsenwerden nach früheren Vorstellungen scheint hier also eher eine Erscheinung der Anpassungsnotwendigkeit an die heutige gesellschaftliche Lage zu sein, denn der Unwille junger Menschen erwachsen zu werden.

Die Verschiebung der Lebensphasen macht sich aber nicht nur vom Übertritt der Jugend in das Erwachsenenalter bemerkbar, sondern auch der Übergang vom Erwachsenen zum fortgeschrittenen Alter will verschoben werden ­ zumindest so weit die Biologie mitspielt. Auch hier wird fleißig gearbeitet und Mütter, die ihr erstes Kind nach Überschreiten des 40ers bekommen, sind keine große Aufregung mehr. Aber die Wissenschaft hat ihre Grenzen, so sehr sich auch die Menschen eine lebensverlängernde "Wunderquelle" herbeisehnen.

Die gestiegene Lebensdauer bewahrt viele Erwachsene länger davor, den Tod der eigenen Eltern frühzeitig zu erleben und dadurch bleiben sie auch länger "Kinder". Gibt es auch keine eigenen Kinder, so fällt ein weitere Grund weg, gezwungener Maßen erwachsen zu werden.

Quelle: Telepolis

 

 

Unser Kommentar: Was bedeutet das eigentlich ­ erwachsen zu sei? Erwachsenwerden bedeutet Verantwortung zu übernehmen, für sich selbst und für den Nächsten. Auf eigenen Beinen zu stehen, Geld zu verdienen und Steuern zu zahlen. Wenn man erwachsen ist, darf man wählen gehen, Auto fahren und Hochprozentiges trinken. Man ist aus den Kinderschuhen und der Obhut der Eltern entwachsen. Der Vogel verlässt das Nest sozusagen. Aber all diese Regeln scheinen nicht mehr zu gelten. Kinder stehen heute unter erhöhtem Stress und von einer unbeschwerten Kindheit traut man sich kaum noch zu reden. Sie versorgen sich zu Mittag selbst mit Essen, erledigen die Hausübung allein und kämpfen tagtäglich den Kampf ums Überleben in einer Leistungsgesellschaft. Kinder werden heute auch viel früher geschlechtsreif und nicht selten sieht man eine 14jährige mit dem Kinderwagen spazieren gehen und am Abend wird dann abgefeiert mit reichlich Hochprozentigen. Mir drängt sich der Gedanke auf, dass Jugendliche nicht später erwachsen werden sondern eher früher ­ wenn man von diesen typischen Erwachsenenmerkmalen ausgeht (Wählen mit 16, Führerschein mit 17!). Viele Jugendliche arbeiten neben der Schule und verdienen Geld in den Ferien mit diversen Jobs. Vielleicht geht das alles viel zu rasant und Mitte zwanzig ist der Druck, erfolgreich im Job und in der Beziehung zu sein so groß, dass die jungen Erwachsenen beschließen, doch lieber nicht erwachsen zu werden. Wozu auch? Im "Hotel Mama" ist es gemütlich und geborgen, Heiraten ist altmodisch und wenn man sich nicht um alles selber kümmern muss, bleibt mehr Zeit für die langwierige Ausbildung. Galston hat schon recht, wenn er von einer Odyssee spricht. Die Grenzen zwischen den "vier Lebenszeiten" sind aufgeweicht und der Lebensweg oft unklar. Die Reise auf der wilden See des Lebens erfordert vom Heranwachsenden Mut, Durchhaltevermögen und Gelassenheit. Und wie wir wissen, schaffte es Odysseus nach langer Reise schlussendlich doch nach Hause.

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

Links:

Artikel auf Telepolis: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26408/1.html

Sage von Odysseus: http://www.sagen.at/texte/sagen/sagen_klassisches_altertum/gustav_schwab/sagen_gustav_schwab_3.html

 

Literaturtipps:

Howard M.Halpern: Abschied von den Eltern. Eine Anleitung für Erwachsene, die Beziehung zu den Eltern zu normalisieren. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Shanti E. Petschel, Helen U. Schulz, Geseko von Lübke und Irene Kraus: Reifeprüfung Wildnis. ...endlich erwachsen werden... Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Cornelia Nitsch und Cornelia von Schelling: Ich dachte, ich hätte sie endlich groß. Wenn Söhne und Töchter nicht erwachsen werden. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

 

 


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