Jugendliche leiden unter beruflichen Ängsten und gesundheitlichen
Problemen
An der Universität Bremen wurde im Herbst 1998 in Zusammenarbeit
mit der "Gmündner Ersatzkasse" eine großangelegte, für die gesamte
BRD repräsentative Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen
negativer Lebensgefühle und Lebensperspektiven - wie sie z.B.
auf Grund von Massenarbeitslosigkeit und der Konkurrenz auf dem
Arbeitsmarkt bestehen - unter 9000 Jugendlichen aller Gruppen
und Schichten im Alter von 14-25 Jahren durchgeführt.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
Gesundheitsbeschwerden und Erkrankungen werden stark von sozialer
Herkunft und Milieu bestimmt. Düstere Zukunftsperspektiven dagegen
schlagen sich nur teilweise in Gesundheitsbeschwerden nieder:
Das Bildungsniveau entscheidet, ob Belastungen und Probleme eher
bewältigt werden oder zu gesundheitlichen Störungen führen.
Das zweite wesentliche Ergebnis zeigt, dass bereits bei Jugendlichen
ganz erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede nachweisbar
sind: Frauen berichten weitaus häufiger über Beschwerden und gehen
insgesamt mit ihrer Gesundheit anders um.
In dieser Studie bewerten weibliche Jugendliche ihren Gesundheitszustand
zumeist schlechter als männliche. Außer bei den 22-25-jährigen
finden sich in jeder Altersgruppe mehr Frauen, die die eigene
Gesundheit eher kritisch beurteilen und häufiger über ganz unterschiedliche
Befindlichkeitsstörungen, Schmerzen und Beschwerden berichten.
Widersprechen diese Befunde aber nicht der Tatsache, dass Frauen
bei uns eine im Durchschnitt um sechs bis sieben Jahre höhere
Lebenserwartung haben?
Für eine hohe Lebenserwartung sind unterschiedliche Aspekte meßgeblich:
Solche aus dem Bereich Gesundheitsverhalten (wie Rauchen, Alkohol,
Ernährung), äußere Faktoren (Umweltbelastungen, beruflicher Stress)
oder solche, die eher psychosoziale Bedingungen beschreiben (Freundschaften,
harmonische Partnerschaft, Umgang mit Stress). Dabei zeigt sich,
dass diese psychosozialen Faktoren von Frauen wesentlich öfter
genannt werden als von Männern, die hier eher einer medizinischen
Logik verhaftet sind. Da bei weiblichen Jugendlichen das Verständnis
für Gesundheit und Krankheit sehr viel "ganzheitlicher" und weniger
naturwissenschaftlich oder medizinisch geprägt ist, berücksichtigen
sie weitaus häufiger auch psychosoziale Faktoren der Krankheitsverursachung
als Männer.
So haben Frauen nach eigener Angabe zwar mehr Befindlichkeitsstörungen,
aber sie sprechen gleichzeitig häufiger über ihre persönlichen
Sorgen und suchen sehr viel öfter als Männer bei einem "Stimmungstief"
die unterstützende Nähe von Freunden oder Freundinnen. Dass Männer
dagegen dazu neigen, emotionale oder gesundheitliche Schwierigkeiten
allein mit sich auszumachen, bedeutet in vielen Fällen, sie zu
bagatellisieren oder zu verdrängen.
Obwohl "Optimismus" oder "Pessimismus" auch von Persönlichkeit
oder individueller Veranlagung abhängen, signalisieren unsere
Befunde, dass das jugendliche Wohlbefinden sehr viel stärker von
den objektiven gesellschaftlichen Chancen und Handlungsfeldern
abhängt - wobei die Bildung eine besonders starke Rolle spielt.
So gilt sowohl für die Anzahl der Arztbesuche oder ernsthafterer
Erkrankungen wie für den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand:
Je höher das Bildungsniveau, desto besser ist der Gesundheitszustand.
So sind gesundheitliche Störungen bei den Schülern umso häufiger,
je niedriger Bildungsniveau und Abschlüsse der jeweils besuchten
Schule sind.
"Wenn du arm bist, musst du früher sterben" - diese Erkenntnis
aus der Zeit des Klassenkampfes gilt heute nicht mehr so ausnahmslos,
auch wenn viele internationale Studien zeigen, dass chronische
Erkrankungen nach wie vor in unteren gesellschaftlichen Schichten
häufiger auftreten. Wie unsere Studie aber zeigt, macht sich das
Bildungsniveau bereits bei den Jugendlichen bemerkbar - nicht
nur im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, sondern auch bei gesundheitlichen
Zusammenhängen.
Unsere Gesellschaft ist möglicherweise schon allzu sehr davon
überzeugt, dass alle die gleichen Chancen haben. Gesundheitspolitisch
ist die geplante Förderung und Prävention der Älteren jedenfalls
ungenügend - man wird auch bestimmten Kindern und Jugendlichen
jeweilige Präventionsangebote machen müssen.
Vor allem muss man sich bewusst machen, dass soziale Ungleichheit
sehr stark vom Bildungsniveau abhängt und sich bereits im Jugendalter
auf Gesundheit und Krankheit auswirkt. In den 70er Jahren gab
es noch Programme zur sogenannten "kompensatorischen Förderung"
benachteiligter Schülerinnen und Schüler aus unteren Sozialschichten,
ungünstigen Milieus und Elternhäusern. Wie die Ergebnisse der
modernen Jugendforschung zeigen, kann eine besondere Förderung
der Schwächeren nicht als überholt oder unmodern missverstanden
werden. Krankheit ist nur eine Form der Problemverarbeitung -
andere Formen wie Drogen, Kriminalität und politischer Extremismus
sind ebenso kritisch und individuell wie gesellschaftlich gefährlich.
Quellen: G. Marstedt, Young is beautiful?, Asgard, St. Augustin 1999;
G. Marstedt, Jugend 2000: Eine leidende Generation? Psychologie
Heute, 2/2000
Unser Kommentar: Nach wie vor scheint es den Ergebnissen dieser Studie zufolge
Zusammenhänge zwischen der Einkommenssituation und dem Gesundheitsbewußtsein
zu geben. Ob da die Einführung eines Selbstbehaltes für Arzt-
und Krankenhausbesuche der richtige gesundheitspolitische Weg
ist?
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