Nachlesen-Logo


 

Leistungsdruck & abwesende Väter

von Julia Stöhr

 

Bereits zum zweiten Mal haben die Österreichischen Kinderfreunde zu Anfang des Jahres ein Stimmungsbild der Wünsche, Sorgen und Ansichten von Kindern in Österreich erhoben.

 

"Nur wenn wir diese unmittelbaren Rückmeldungen haben, ist es für uns möglich, für Kinder optimale Forderungen auszuarbeiten und Verbesserungen für ihre Lebenssituation zu erwirken" sagt Waltraud Witowetz-Müller, die Bundesvorsitzende der Kinderfreunde. Befragt wurden 1015 Kinder zwischen 5 und 17 Jahren, fast zwei Drittel davon im Alter zwischen 10 und 13. Etwa zwei Drittel sind Hauptschüler, etwa ein Drittel Volkschüler. Im Unterschied zur letzten Studie gibt es dieses Mal keine Vergleiche zwischen den einzelnen Altersstufen, differenziert wurde ausschließlich nach dem Geschlecht.

Ängste & Sorgen

Die Studie liefert laut Witowetz-Müller zum Teil besorgniserregende Ergebnisse und zeige einen deutlichen Rückschritt in der Entwicklung, der vor allem durch die Einsparungen im Bildungsbereich bedingt sei. Dass die Angst vor schlechten Noten in der "Hitliste" der Ängste weit vorne liegt ­ 24,5%, fast jedes vierte Kind, hat Angst vor schlechten Noten ­ zeige unter welchem Leistungsdruck Kinder und Jugendliche stehen, genauso der meistgenannte (26%) Neujahrsvorsatz der Kinder, mehr lernen zu wollen, und die Angst, keine Arbeit zu finden (12,3%).

Weiter in der "Hitliste" der Kinderängste:

- Angst vor AIDS (16,5%),
- dass die Eltern sich trennen könnten (15%),
- mit Drogen in Berührung zu kommen (12,4%),
- dass die Eltern zuwenig Geld verdienen (8,2%)
- und 17,9% nehmen sich vor, im neuen Jahr weniger Angst zu haben!

Väter & Rollenbilder

Standen die Ängste bei der ersten Befragung 2003 im Vordergrund (siehe unseren Artikel "Die Ängste der Kinder"), so hatte die Erhebung dieses Mal einen anderen Schwerpunkt: die Wahrnehmung der Vaterrolle und die Erwartungen der Kinder an ihre Väter. Werden die Kinder nach den Aufgaben des Vaters in der Familie gefragt, sagen sie am häufigsten "Geldverdienen"(18,3%), Sachen reparieren"(17,8%) und "Dinge erklären" (12,7%), am seltensten Kochen (5,9%) und Kuscheln (5,5%) - offensichtlich wird die Rollenverteilung in den meisten Familien noch sehr klassisch erlebt.

Da die Kinder die gleichgeschlechtlichen Elternteile jeweils als wichtigstes Vorbild angeben ­ 32% der Burschen möchte einmal so werden wie der Vater, 37,7% der Mädchen wie die Mutter ­ ist die entscheidende Frage, wie sehr sich die Kinder auch mit dem Rollenverständnis ihrer Eltern identifizieren werden. Rollenkonform zeigen sich die Kinder jedenfalls in der Auswahl ihrer Idole ­ Mädchen legen bei ihren Stars Wert auf das Aussehen, für Burschen sind die Fähigkeiten am wichtigsten.

Gefragt nach den Wünschen und Erwartungen an seinen Vater/Stiefvater äußert sich jedes dritte Kind generell zufrieden. 22,5% wünschen sich dass ihr Vater mehr Zeit für sie hat, und 13,8% dass er weniger arbeitet ­ insgesamt mehr als ein Drittel: Dass "Väter vor allem als abwesend wahrgenommen" werden ist für Studienautorin Daniela Pruner das auffälligste Ergebnis der neuen Studie.

16,1% wünschen sich "dass er weniger streng ist", 14% "dass er sich besser mit Mama versteht" ­ in zahlenmäßiger Übereinstimmung mit der Angst vor einer Trennung der Eltern.

Auch in den Vorstellungen der Mädchen und Burschen von ihrer eigenen zukünftigen Familie spielt Zeit die vorrangige Rolle. 22,5% möchten viel Zeit für ihre Familie haben ­ Laut Witowetz-Müller ein weiteres Zeichen dafür dass die Kinder ihre Väter massiv vermissen. Für 21,5% ist es wichtig, genug Geld zu haben, alle Arbeiten mit dem Partner teilen wollen nur 14,1%.

Computer & Hunde

Besorgt äußert sich Waltraud Witowetz-Müller über den Stellenwert der Kinder in unserer Gesellschaft: 11% der Kinder denken dass Kinder die Erwachsenen nur stören, 11,9%, darunter mehrheitlich Burschen, finden dass manche Erwachsene Hunde besser behandeln als Kinder, für Witowetz-Müller eine erschreckende Tatsache.

Interessant sind auch die stark unterschiedlichen Antworten von Mädchen und Burschen auf die Frage nach ihrem Lieblingsspielzeug (übrigens die einzige Frage, die frei zu beantworten war): Burschen spielen mit Abstand am liebsten am Computer (23,3%), bei den Mädchen kommt der Computer (9,4%) erst nach dem Spielen mit Freunden (11%). Bewegungsspiele bevorzugen 9,5% der Burschen, aber nur 1,8% der Mädchen.

Forderungskatalog

Aus diesen Ergebnissen leiten die Kinderfreunde folgende Forderungen ab:

-> "Recht auf einen Vaterschutzmonat bei vollem Lohnausgleich im Sinne einer aktiven Vaterförderung"
-> "Wahlfreiheit für die Väterkarenz, Karenz darf zu keinem beruflichen Nachteil führen."
-> "gezielte Förderung von Mädchen und geschlechtssensible Ansätze in der schulischen und außerschulischen Arbeit"
-> "Einrichtung männlicher Vorbilder in pädagogischen Einrichtungen"
-> "Reduzierung des schulischen Drucks ­ keine Stundenreduzierung, statt dessen Unterrichtsgestaltung die nicht primär auf dem Leistungsbegriff aufbaut"

 

 

Unser Kommentar: Die Kinder wünschen sich mehr Zeit mit ihren Vätern, und auch die Väter sehen sich selbst nicht mehr nur als Ernährer der Familie, hinterfragen ihre Rolle. Eine Änderung der traditionellen Rollenverteilung in unserer Gesellschaft ist ein langsamer Prozess, für den man gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen muss, den man auf diese Weise aber nicht erzwingen kann ­ die Veränderung muss in den Köpfen entstehen.

Eine Maßnahme um Rollenbilder in den Köpfen aufzuweichen ist etwa das Projekt "Geschlechtssensible Kleinkindpädagogik", das 1999 im Wiener Kindertagesheim "fun & care" gestartet und im Herbst 2003 von Christiane Spiel und Petra Wagner vom Psychologieinstitut der Universität Wien erstmals ausgewertet und evaluiert wurde:
Dabei wurde versucht, schon im Kindergarten sensibel für Rollenbilder zu sein um zu verhindern, dass Kindern bereits in diesem Alter in rollenprägende Fallen tappen.

Dieser Versuch wurde schwerpunktmäßig auf 4 Säulen aufgebaut:

- einem Raumkonzept, das den Raum nicht vordefiniert, zB. mit Puppen- und Bauecke, sondern offen gestaltet,
- einem Personalkonzept, bei dem alle Tätigkeiten im Kindergarten, pädagogische und Nebentätigkeiten, von Männern und Frauen zu gleichen Teilen ausgeführt werden,
- einem Bildungskonzept, bei dem auf Kinderbücher, die Rollenklischees enthalten, verzichtet wird und den Kindern gezielt Angebote zu geschlechtsuntypischen Spielen gemacht werden,
- und der Elternarbeit, wo vor allem versucht wird, auch Väter in den Kindergartenalltag einzubeziehen.

Die Evaluierung konnte zeigen, dass Begriffe im Projektkindergarten deutlich geschlechtsneutraler zugeordnet wurden ­ Die Sensibilisierung war wirksam!

Zum Stichwort Vätermonat: Dieser bezahlte Kinderurlaub könnte ein Anfang sein, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Väterkarenz zu erhöhen. Dass aber mehr Männer auch länger als einen Monat in Karenz gehen oder Teilzeit arbeiten, um sich auch an der Kinderbetreuung zu beteiligen, wird finanziell nur möglich sein, wenn sich die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen verringern, die auch darauf beruhen, dass Frauen lange in Karenz gehen und dann meist weniger qualifizierte Teilzeitarbeit leisten.

In Frankreich wurde durch das System der Ganztagsschule ein Schritt in Richtung beruflicher Gleichstellung der Frau gemacht: Dort sind die Kinder bereits ab vier Jahren von 8 Uhr 30 bis 18 Uhr in der Vorschule und dann in der Schule. Die Krippe versorgt die Kinder ab drei Monaten bis zum Alter von drei Jahren ­ Der Anteil berufstätiger Frauen ist seit Mitte der 70er Jahre enorm gestiegen.

Ulrike Popp, Leiterin der Abteilung Schulpädagogik an der Uni Klagenfurt, sieht viele Vorteile durch Ganztagsschulen: Man könne sich "besser am Tagesablauf und der Lebenswelt von Schülern orientieren, Unterrichtsphasen sollen sich mit Spielen, Ruhepausen, essen, Lern- und Förderphasen abwechseln". Erziehungswissenschaftler Karl Heinz Gruber von der Uni Wien: "Die Ganztagsschule ermöglicht mehr Flexibilität ­ um den Preis der Zeit, über die man individuell verfügen kann." ­ Mehr Zeit mit der Familie haben die französischen Kinder dadurch jedenfalls nicht.

Um den wachsenden Leistungsdruck der Schüler tatsächlich zu reduzieren, ist ein neuer Umgang mit Leistung nötig: Nicht ständige Selektion und Eintrichtern von umfangreichem, aber nur kurzfristig haltbarem Faktenwissen, sondern vielmehr Vermittlung von Bildungsmotivation, Lernkompetenz und der Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten, um auf lebenslanges Lernen vorzubereiten ­ das finnische, laut PISA - Studie erfolgreichste Konzept.

J. Stöhr/Zentrum Rodaun

 

Links:

Institut für Psychologie/Arbeitsbereich Bildungspsychologie und Evaluation

Bericht über das Kindertagesheim fun & care

 

Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unserem Beiträgen

Die Ängste der Kinder

Enormer Leistungsdruck lässt Kinder ausrasten

 

 


Zentrum Rodaun, 1230 Wien, Kaltenleutgebnerstraße 13A / 23
Tel: 01/8892572, 01/8891021 e-mail: team@zentrum-rodaun.at