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Die Macht des gesprochenen Wortes

von Birgit Oberwalder

 

In einer Studie wurden Gespräche in diversen Hausarztpraxen aufgezeichnet und analysiert. Tim Peters von der Ruhr-Universität beschäftigte sich in seiner Magisterarbeit mit den Gesprächen zwischen Arzt und Patienten und mit der Frage, welche redetechnischen "Tricks" von Ärzten angewendet werden, um ihre Patienten in zeitsparender und effizienter Weise zu behandeln.

 

Ein Arzt, dessen Wartezimmer voll ist, verfügt meist nicht über die notwendige Zeit, sich ausführlich und ausgedehnt mit dem Patienten zu beschäftigen. Die knappe Zeit reicht nicht um sowohl die vorgeschlagenen Therapien als auch eventuelle Abwägungen von Alternativen zu besprechen. Wie sich der Arzt nun den zu Behandelnden sprachlich so fügt, dass dieser sich den Anweisungen des Arztes mehr oder weniger freiwillig beugt, untersuchte Tim Peters von der Ruhr-Universität. Ihm ging es vor allem um die sprachliche Erscheinungsform von Macht.

Die sprachliche Macht

Um das Vorgehen der Ärzte uneingeschränkt untersuchen und analysieren zu können, ersuchte Peters 52 Düsseldorfer Hausärzte, Konsultationsgespräche zu Studienzwecken aufzeichnen zu dürfen. Insgesamt analysierte Peters 100 Gespräche. Diese wurden von zwei fingierten Patientinnen absolviert. Eine davon wurde unterwiesen sich ängstlich­drängend zu verhalten (unter Kopfschmerzen leidend), die Zweite verhielt sich neutral-akzeptierend. Um langwierige Überzeugungsarbeit zu umgehen und die von ihnen gewählte Vorgehensweise zügig durchzusetzen, bedienen sich Ärzte, laut dieser Studie, der sprachlichen Macht. Das heißt, sie verwenden für den Laien unverständliche Fachwörter, halten Vorträge und verstärken ihre eigenen Meinung, indem sie ihre Stimme heben. "Es gibt bestimmte sprachliche Abläufe und Prozeduren innerhalb der Kommunikation, welche von ärztlicher Seite den Patienten beeinflussen sollen", so Tim Peters.

Analyse des Gesprächs

Um die Gespräche untereinander überhaupt vergleichen zu können und zu einem wissenschaftlichen Ergebnis zu gelangen, musste Peters ein Schema erstellen. Dabei bediente er sich der linguistischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Literatur, die es ihm ermöglichte die Machtausübung durch die sprachliche Vorgehensweise der Ärzte zu kategorisieren. Dabei achtete Peters auf Faktoren wie zum Beispiel den Redeanteil der Beteiligten, das Sprechtempo, Intonation, die benutzten Begriffe, Ziel und Struktur des Gesprächs. Peters konnte beispielsweise feststellen, dass der Arzt die Patientin häufig nicht ausreden lies. Um das ganze Gespräch abzukürzen bediente sich er sich einer Fragetechnik, die der Patienten nur die Antwortmöglichkeit von "Ja" oder "Nein" bot. Von ausführlicher Darlegung der Probleme seitens der Patientin war keine Rede. Weiters versuchte der Arzt seine von ihm vorgeschlagene Therapie, trotzt Widerwillen der Patientin, durchzusetzen. Indem er wiederholt und dabei lauter werdend nachfragte, warum sie die Therapie nicht möchte, versuchte er der Patientin das Einverständnis dazu abzuringen. Zusätzlich warb er um die Therapie, indem er ihr unverständliche Fachwörter und Wirkstoffbezeichnungen nannte. Mit dieser Methode ­ seine Fachkompetenz zur Schau zu stellen ­ setzte er die Patientin unter Druck.

Machtspiele oder Notwendigkeit

Peters weist in seiner Arbeit ausdrücklich darauf hin, dass er das Vorgehen der Ärzte und ihren Sprachgebrauch nicht kritisieren möchte: "Ich möchte betonen, dass der Begriff "Macht" in meiner Arbeit nicht wertend gemeint ist", sagt er. "Die Arbeit und ihre Ergebnisse zeigen nur, dass Sprache in institutionellen Situationen nicht nur ein Trägermedium für Informationen ist, sondern dass allein die Form der Sprache schon verschiedenste Einflusspotentiale enthält."

Dies ist natürlich nicht nur in Arztpraxen üblich. Auch in anderen Institutionen wie Gerichte oder öffentliche Ämter bedienen sich der sprachlichen Macht. Peters nennt als Gründe für die Machtausübung in erster Linie die Zeit- und Aufwandsersparnis. Die Zeit, die notwendig wäre um sich intensiv und ausführlich mit den Patienten auseinander zusetzten ist nicht vorhanden. Den Patienten an der Entscheidungs- und Therapiefindung teilhaben zu lassen, was eine Diskussion auslösen und den Arzt sogar zur Rechtfertigung von seiner Intervention nötigen könnte (wenn der Patient zum Beispiel nicht überzeugt ist), wäre unrealistisch im jetzigen System. Dieser zeitraubende Vorgang kann eben umgangen werden, indem der Arzt einen eher unkooperativen Ansatz, der keine Rücksicht auf die psychosozialen Wünsche des Patienten nimmt, wählt und sich ausschließlich an den Symptomen orientiert. "Die heute oft geforderte kooperative Entscheidungsfindung findet oft nicht statt", fasst Tim Peters zusammen. Hier geht es schlicht darum, Zeit und Energie zu sparen.

Grundlage

Die Studie der Düsseldorfer Universitätsklinik bildete die Grundlage für Peters Arbeit. Für diese Studie unter Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz zum Thema "Exakte Erfassung der Behandlungsvariabilität durch den Einsatz standardisierter Patienten ­ Untersuchung in Hausarztpraxen am Beispiel des Kopfschmerzes" wurden Patientengespräche aufgezeichnet. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter griff Peters für seine spätere Arbeit zusätzlich auf die Gesprächsaufzeichnungen zurück.

Quelle: MedAustria

 

 

Unser Kommentar: Patient kommt zum Doktor: "Herr Doktor, ständig werde ich über übersehen." Doktor: "Der nächste bitte"?Was für den einen unterhaltsam ist, ist für den anderen oft schicht weg die Realität. Viele kennen das Gefühlt, beim Arzt zu sitzen und verzweifelt alle Einzelheiten und Details des eigenen Leidens zu erörtern, aber der Doktor hört nicht zu. Und nicht nur das, er unterbricht und stellt einfach vorgefertigte Fragen, auf die vielleicht schon die Antwort genannt wurde. Hören Ärzte nicht zu? Nehmen sie ihre Patienten nicht ernst? In Zeiten der immer lauter werdenden Forderung nach Eigenverantwortung der Patienten passt es weniger, dass Ärzte ihren Kunden nicht zuhören. Aber so einfach ist es nicht. "Nicht wollen" und "nicht können" ist ein großer Unterschied. Wenn zwanzig kranke Menschen auf die Aufmerksamkeit des Doktors warten ist effizientes Arbeiten erforderlich. Das gilt aber nicht nur für den Arzt sondern für alle Stellen und Institutionen, die mehrere Menschen "abfertigen" müssen ­ tagtäglich. Natürlich ist es etwas anderes, wenn es darum geht den Heizkostenzuschuss zu beantragen oder die Lungenentzündung zu behandeln. Deshalb ist es wohl eine Gratwanderung, auf der sich die Ärzte Tag für Tag befinden. Nicht voll quatschen lassen versus die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Manche Menschen ergreifen die Gelegenheit der Zuwendung vom Arzt um ihre Leiden und noch die gesamte Lebensgeschichte anzubringen, aber sosehr sich der Arzt seinen Patienten verpflichtet hat, müssen auch die anderen Patienten zum Zug kommen. Leider werden aber auch oft wichtige Dinge übersehen oder kommen nicht zur Sprache, weil der Arzt nur nach "Schema F" vorgeht. Ein regelmäßiges Aufrütteln und Bewusstwerden in jeder neuen Situation seitens des Arztes und Rücksichtnahme von Seiten der Patienten auf die Nachfolgenden lässt einen Mittelweg finden, auf dem alle zufrieden schreiten können. Und wenn man sich unverstanden fühlt oder mit dem vorgegebenen Weg der Therapie nicht einverstanden ist, so ist es wohl jedes Patienten Pflicht und Recht, dies dem Arzt mitzuteilen. "Mitarbeit" kann durchaus die Arbeit des Arztes erleichtern.

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

 

Literaturtipps:

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Wolf Schneider: Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Beatrice Herzog: Arzt-Patient-Kommunikation. Die Sicht des Anderen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

 

 


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