Schwierigkeiten der Betreuung von Migrantenkindern und -jugendlichen
Untersuchungsergebnisse des Projektes "Transkulturelle Ambulanz
- Immigrantenambulanz" an der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie
des Kindes- und Jugendalters am Wiener AKH
Ausgangslage:
Im August 2000 wurden die Ergebnisse einer Untersuchung an 140
Kindern und Jugendlichen, deren Familien aus der Türkei oder dem
ehemaligen Jugoslawien stammen, präsentiert. Ausgangspunkt der
Studie war die häufige Beobachtung, daß Zuwandererfamilien an
kinderpsychiatrischen Abteilungen oder auch Beratungsstellen unterrepräsentiert
sind und erst sehr spät Hilfe wegen Verhaltensproblemen ihrer
Kinder professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien befinden sich nach
Ansicht der Studienautoren zum Teil in einer benachteiligten Position
aufgrund ihrer Situation zwischen der Aufnahmegesellschaft (Einheimische)
und ihrer Familien. Bei Zuwandererfamilien sind die Kinder und
Jugendlichen die Personen, die mit vielen Schwierigkeiten in verschiedenen
Bereichen des Lebens allein fertig werden müssen, sondern auch
häufig die Elternrolle übernehmen müssen, weil ihre Eltern sowohl
bei der Kommunikation als auch in alltäglichen Lebensfertigkeiten
große Schwierigkeiten haben.
Die psychiatrische bzw. psychologische Betreuung der Kinder aus
Zuwandererfamilien gestalten sich auch deswegen schwierig, weil
Eltern, die keine Deutschkenntnisse haben und sehr traditionelle
Lebensführung zeigen, in derartigen Einrichtungen besonders überfordert
sind und das mit ihnen befasste Personal erheblich belasten, was
häufig zu konfliktreichen Betreuungssprozessen führt.
Die Schwierigkeiten bei der Betreuung dieser Gruppen führen zu
Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühlen beim betreuenden Personal;
die Erwiderung dieser Gefühle ist eine Reduktion der Mitarbeit
und Behandlungsdisziplin dieser Patientengruppe, die zu einer
Verschlechterung der Versorgung dieser Patienten in der psychologischen
und psychiatrischen Versorgung führt. Es bedarf einer großen sensiblen
Offenheit der Fachpersonen gegenüber den unterschiedlichen Einstellungen
und kulturellen Gegebenheiten in den Migrantenfamilien. Es könnten
viele Konfliktsituationen gelindert werden, wenn die Sprach- und
Kulturbarrieren verringert würden.
Ziel der erwähnten Studie ist herauszufinden, welche Voraussetzungen
in der Betreuung der Migrantenfamilien erfüllt werden müssen,
um die Qualität der Versorgung dieser Patientengruppe zu verbessern
und ihr die Hilfe zukommen lassen zu können, die sie benötigen.
Ergebnisse:
O Die Mehrheit der betreuten Familien stammt aus dem ländlichen
Raum, hat einen niedrigen Bildungsstand und somit nur die Chance
auf Hilfsarbeit in Österreich.
O Die Arbeitsbedingungen verhindern die deutsche Sprachentwicklung
der Eltern, weshalb mit den Kindern die Muttersprache gesprochen
wird. Die Folge: mangelnde Deutschkenntnisse beim Schuleintritt.
O Bei Lernproblemen können die Eltern meist nicht helfen - ein
zusätzlicher Lernstress.
O Gleichzeitig herrscht ein großer Informationsmangel über Betreuungsmöglichkeiten
im psychosozialen Bereich. Zwei Drittel der türkischen Familien
haben Angst vor psychiatrischen Einrichtungen. Bei Familien aus
Exjugoslawien sind es 41 Prozent. Viele glauben, sie könnten bei
psychiatrischer Behandlung Kind oder Aufenthaltsrecht verlieren.
O Aufgrund der Sprachbarrieren fühlen sich viele Familien nicht
richtig behandelt. Deshalb werden mehrere Ärzte konsultiert ("doctor
shopping") - die vorgeschlagenen Behandlungen werden dann oft
nicht angenommen. Das erhöht auch die Behandlungskosten. 58 Prozent
der türkischen Familien gingen zunächst einmal zum Hodscha (mohammedanischer
Lehrer, Geistlicher) und dann erst zum Arzt.
O Die Kulturbarriere wird größer empfunden als die sprachliche
Barriere. Und: Sind die betreuenden Personen sprachlich und kulturell
kompetent, ist die Zusammenarbeit mit Patienten und Familie sehr
gut. 80 Prozent der Patienten hielten sich während der Behandlung
in der "Transkulturellen Ambulanz" an Vereinbarungen über Medikamente,
Termine.
Konsequenz:
Die Studienautoren fordern einen verstärkten Einsatz von sprach-und
kulturkompetenten bilingualen Fachkräften, was Kontaktangst und
Missverständnisse vermindere. Transkulturelle Psychiatrie sei
in Praxis und Forschung notwendig.
Die Studie: Schwierigkeiten der Betreuung von Migrantenkindern und -jugendlichen.
Eine empirische Studie mit in Österreich lebenden aus der Türkei
Ex-Jugoslawien stammenden Familien im Zeitraum 1998-1999
Die AutorInnen: Univ.Prof. Dr. Max H. Friedrich, Dr. Türkan Akkaya, Dr. Kanita
Dervic
Wir danken der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes-
und Jugendalters für die Überlassung der Studie.