Was kränkt, macht krank: Psychische Gewalt am Kind
Der Achtjährige brachte seine Eltern jeden Morgen zur Weißglut:
Er putzte seine Zähne so lange und intensiv, bis schlußendlich
der Zahnschmelz fast weg war. Grund für diesen Zahnputzzwang war
nicht ein übersteigertes Hygienebedürfnis, sondern Schulangst.
Jeden Abend drillten die Eltern den Buben für den nächsten Schultag.
"Der Bub konnte aber auf Grund seiner Begabung die Erwartungen
der Eltern gar nicht erfüllen", schildert der Kinder- und Jugendpsychiater
Univ. Prof. Dr. Max Friedrich, wie leicht aus vermeintlicher Erziehung
psychische Gewalt gegen ein Kind werden kann. "Die psychische
Gewalt am Kind ist sicher ein vernachlässigter
Bereich", sagte Dr. Werner Leixnering, Arzt an der Univ.-Klinik
für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener AKH, anlässlich einer
Enquete des Familienministeriums zu diesem Thema. Ressortchef
Martin Bartenstein:" Immer noch bestehende Tabus müssen aufgebrochen
werden."
Besonders gefährlich sei psychische Gewalt, wenn sie als "vorbeugendes
Erziehungsmittel" angewendet wird, sagt Leixnering:" Wir meinen
es ja bloß gut", oder "wir haben sicherheitshalber solche Methoden
verwendet", sei ein oft gehörter Satz aus der Praxis. "Gewalt
kann aber kein Erziehungsmittel sein", stellt Leixnering kategorisch
fest.
Psychische Gewalt erscheint auf drei Ebenen:
Auf der intellektuellen, wenn ein Kind mit Drohungen oder Liebesentzug
("Wenn Du das nicht machst, habe ich Dich nicht mehr lieb: Du
bist nicht mehr mein Kind") etwas leisten soll, was es nicht kann.
Auf der emotionalen, wenn ein Kind als Spielball für den Streit
zwischen den Eltern benutzt wird ("Du bist schuld, dass unsere
Tochter das nicht kann").
Und auf der sozialen, wenn ein Kind nicht lernt, planvoll vorzugehen
oder von den Eltern nicht auf neue Situationen wie Kindergarten
oder Schule vorbereitet wird.
Die Reaktionen sind vielfältig: Von Kopfweh und Erbrechen bis
zu Leistungsverweigerung oder Aggressionen.
"Im Einzelfall werden solche Methoden noch nicht schlimm sein",
so Friedrich. "Nur bleibt es nicht bei Einzelfällen, das steigert
sich. Und dieser Spirale muss man energisch entgegentreten." Der
Arzt appelliert auch an die Eltern, es sich in ihren Erziehungsmethoden
nicht zu leicht zu machen. Denn der Satz:" Das ist ja gar nichts"
stimmt nicht. Friedrich:" Für ein Kind bedeutet das sehr wohl
etwas."