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Psychische Probleme kosten...

...aber ohne adäquate Behandlung kommen sie noch teurer

von Birgit Oberwalder

 

Laut der Studie "Costs of Disorders of the Brain in Europe" entfallen sechs bis sieben Prozent der Gesundheitskosten in Österreich auf psychiatrische Erkrankungen. Das bedeutet, dass allein für fünf ausgewählte Krankheiten 7,2 Milliarden Euro pro Jahr aufgewendet werden. Aber diese Studie bedeutet mehr als rein volkswirtschaftliche Kalkulation, sie lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Tabuthema. Mit psychiatrischen Problemen und Krankheiten kommt beinahe jeder in Berührung.

 

Jeder vierte bis fünfte Österreicher erlebt sie als Betroffener. Andere sind genauso "betroffen", weil sie Angehörige sind. Depression, Sucht, Demenz,?Wörter die vielen ein Begriff sind und trotzdem auf Unverständnis stoßen. "Das menschliche Gehirn ist nicht nur unsere Persönlichkeit, Gedanken, Gefühle und andere menschliche Charakteristiken, es ist auch der Sitz von vielen chronischen, arbeitsunfähigmachenden Störungen", meint Jes Olesen, Präsident vom European Brain Council. Das Problem jedoch ist, dass diesen Krankheiten nicht die Aufmerksamkeit zugestanden wird, wie beispielsweise Herzkrankheiten oder Krebs. Zwar stieg das Bewusstsein der Allgemeinheit in den letzten Jahren, aber noch immer werden Betroffene stigmatisiert und/oder diskriminiert. Um mehr Aufmerksamkeit und Bewusstein für dieses Thema zu erlangen, wurde 2003 die European Brain Council (EBC) gegründet. Sie setzt sich aus Neurologen, Psychiatern, Psychologen, Neurochirurgen, Wissenschaftern, Patientenorganisationen und industriellen Forschungsvereinigungen zusammen. Das wichtigste Ziel dieser Einrichtung ist die Förderung und Bekanntmachung von Hirnforschung.Entscheidend sind hier auch die entstehenden Kosten von psychiatrischen Krankheiten.

Zahlen und Fakten

Berechnungen aus den Daten der WHO ergaben, dass in Europa die Kosten für psychiatrische Erkrankungen 35% der gesamten Gesundheitskosten ausmachen. Hierbei handelt es sich um eine Summe zwischen 500 und 700 Milliarden Euro. Die Kosten für psychiatrische Erkrankungen sind somit um vieles höher, als andere Bereiche wie Herzerkrankungen, Krebs oder Diabetes. In 28 Ländern mit einer Gesamtpopulation von 466 Millionen sind 127 Millionen Menschen von mindestens einer psychiatrischen Erkrankung betroffen. Hier treten am häufigsten Angsterkrankungen auf, gefolgt von Migräne und affektiven Störungen. Wobei die durchschnittlichen Kosten für Migräne (Euro 600), Angststörungen (Euro 800) und Sucht (Euro 1.700) am geringsten sind. So belaufen sich die durchschnittlichen Kosten bei einem Gehirntumor auf Euro 39.000 und bei Multipler Sklerose sind es noch immerhin Euro 24.000. Es muss allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es hier noch einen beträchtlichen Grad an Unsicherheit gibt. Sowohl in Hinblick auf die Schätzungen bezüglich der einzelnen Erkrankungen, als auch bezüglich der Daten aus den verschiedenen Ländern. Deshalb ist der Vergleich zwischen einzelnen Krankheiten eigentlich sehr schwer, bedenkt man auch die eher knappen Daten. Nichtsdestotrotz, verlangt diese nicht unerhebliche Menge an Erkrankungen nach mehr Aufmerksamkeit in der Forschung, Gesundheitsvorsorge und auch im Lehrplan. Im Verhältnis zur Häufigkeit der Erkrankungen ist die Gesundheitsfürsorge, die Forschung und auch die Ausbildung im medizinischen Bereich zu gering.

In Österreich kosten allein fünf ausgewählte psychiatrische Erkrankungen 7,2 Milliarden Euro. Diese sind Abhängigkeit, Depressionen, Angsterkrankungen, Demenz und Psychosen. Am häufigsten treten Depressionen auf, danach folgen bipolare Störungen (z.B.:manisch-depressive ERkrankungen) und Suchterkrankungen.
Diese Berechnungen ergeben sich aus Zahlungen der Krankenkassen für Psychopharmaka, Spitalsaufenthalte und Arbeitsausfällen. Weiters fallen in die Berechnung soziale Dienste, Frühpensionierungen, Adaptierungen in der Wohnung und Arbeitausfälle von Angehörigen. Arbeitsausfälle stellen laut dem Sozialpsychiater Johannes Wancata den größten Kostenanteil dar. Gleich darauf folgen Krankenhausbehandlungen. Vergleichsweise geringe drei Prozent machen hier die Kosten für Medikamente aus.


Der Mensch hinter den Zahlen

7,2 Milliarden kosten psychiatrische Krankheiten jährlich. Aber noch immer gibt es mangelnde Versorgung. Nur wenige Betroffene werden langfristig professionell betreut. Hier gibt es einige Punkte zu optimieren. Zum Beispiel ist es auf dem Lande noch immer schwer Fachärzte oder Spitalsabteilungen unter 40 Minuten zu erreichen, so Walter Schöny, Leiter der oberösterreichischen Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg. Es fehlt an Aufklärung, Information und entsprechender Vorsorge, sowie Früherkennung. Emotionale und finanzielle Hauptlasten müssen Angehörige tragen. Einsparungen zu erzielen, indem man modernere Medikamente verschreibt, ist nur ein erster Schritt. Dass sie wirksamer und besser verträglicher sind, machen weitere Überlegungen überflüssig, die Anwendung sollte selbstverständlich sein.

Aber Medikamente sind nur ein geringer Teil des Gesamtproblems, wie Wancata richtig feststellte, wesentlich sind sozialpsychiatrische und psychotherapeutische Interventionen, die vor allem adäquat finanziert werden müssen. Detail am Rande: Forschungen zu psychiatrischen Erkrankungen werden beinnahe ausschließlich von der Pharmaindustrie gesponsert. Die öffentlichen Förderungen in diesem Bereich sind verschwindend gering. Wancata stellt fest, dass die Zukunft nicht besser, sondern eher schlechter ausschauen wird. Die Erkrankungen werden zunehmen, vor allem im Bereich der Demenz. Würden Demenz und Depression vorsorglich in kostenlosen Gesundenuntersuchungen berücksichtigt werden, wäre ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt.

Quelle: European Journal of Neurology, Pro mente, ORF

 

 

Unser Kommentar: 7,2 Milliarden Euro ­ und das eigentlich "nur" für fünf ausgesuchte psychiatrische Krankheiten ­ jährlich! Sie denken das ist eine Menge Geld? Was ist die Gesundheit wert? Manche/r mag auf Grund dieser Zahlen denken: " Oh, ich koste so viel Geld!" ­ dabei ist es oft umgekehrt: die Lebensumstände so manchergeht auf deren Kosten. Depression, Angst und Sucht sind die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen in Österreich. Diese können teilweise durch organische Ursachen bedingt sein, jedoch steckt hinter diesen Krankheiten eine wesentliche psychische Komponente. Vielleicht ist nicht die Arbeit, sondern die Nachbarn, oder Probleme in der Partnerschaft der Grund. Egal, es ist in unserer Gesellschaft noch immer "unangebracht" solche Krankheiten zu haben. Sie werden nicht gleichgesetzt mit Herzproblemen oder Krebs, weil das ist ja "was Ernstes". Diese Zahlen ­ 7,2 Milliarden ­ zeigen für mich nicht, wie furchtbar teuer uns die "Psychiatrischen" kommen, sondern den dringenden Handlungsbedarf auf diesem Gebiet. Einsparungen der Gesundheitskosten sind am effektivsten, wenn es viele Genesungen - Heilung ­ gibt, optimiert durch Vorbeugung, Aufklärung und den entsprechenden Stellenwert in der staatlichen Gesundheitsvorsorge!

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

Links:

Pro Mente: "Jeder Vierte ist psychisch krank." http://pmooe.at/sitex/index.php/page.242/action.view/entity.detail/key.1024/

ORF: "Psycho-Krankheiten kosten 7,2 Mrd. Euro jährlich" http://science.orf.at/science/news/147766

 

Literaturtipps:

P. Andlin-Sobocki, B. Jönsson, H.U. Wittchen & J. Olesen (2005). Costs of Disorders of the Brain in Europe.European Journal of Neurology,12.

Ulrike Schäfer und Eckart Rüther: Ängste ­ Schutz oder Qual? Angststörungen ­ Ein Ratgeber für Betroffenen und Angehörige. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Günter Niklewski, Heike Nordmann und Rose Riecke-Niklewski: Demenz. Hilfe für Angehörige und Betroffene. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

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Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unserem Beitrag

Armut kann Ihre Gesundheit gefährden!

 

 


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