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Suchende Screenager im medialen Universum

Die Entzauberung der Medien durch die mit Fernbedienung, Maus und Joystick aufgewachsene Generation

Douglas Rushkoff

 

Kaum ein Werbeslogan- oder TV-Programmgestalter, für den die Jugendkultur nicht mehr als eine "Zielgruppe" war, hätte sich träumen lassen, dass diese Strategie das Verhältnis der Jugend zu den Medien revolutioniert. Unsere Teenager haben sich der Reizüberflutung und den pausenlosen Attacken auf ihre Emotionen erstaunlich schnell angepasst. Teenager wurden Screenager.

Hineingeboren in eine über Fernsehen und Computer vermittelte Kultur, in der die Erwachsenen die Fremden sind, beherrschen sie die PR-Sprache mit einer Selbstverständlichkeit, die Werbeleuten zur Ehre gereicht, wenn sie sie je erreichen. Von den plumpen Annäherungsversuchen auf ihr Selbstbewusstsein, distanziert sich die Jugend mit Humor und Ironie.

Gerade durch die TV-Serien, die auf sie zugeschnitten sind, lernen sie, den Angriff auf ihre Meinungsfreiheit abzublocken. Die Polit- und Sitcom-Familie der neunziger Jahre, die Simpsons, sind ein wahres Semiotik-Seminar, in dem die Gesellschaft samt Medien auf die Schaufel genommen wird. Bart Simpson, der Jüngste unter den Protagonisten, schlüpft ab und zu in die Rolle eines Erzählers. Er stellt die Frage, wie seine Familie in den Augen der Zuseher wirken muss.

Wer nicht mit rekapitulierenden Medien vertraut ist, schreckt vor den Fernsehgewohnheiten der Kids zurück und hält ihnen vor, sie seien nicht fähig, zuzuschauen und den Schnabel zu halten. Tatsächlich sind wir unfähig ihren Fernsehstil als das zu erkennen, was er ist: distanzierte Teilnahme. Da in der Parodie die Mechanismen der Manipulation aufgedeckt werden, verliert diese ihre suggestive Kraft.

Beavis & Butt-Head sind Lehrmeister der Mediensprache, mit ihrer Hilfe können sich die Screenager von aufgeblasenen Rockvideos distanzieren. Diese ComicFiguren stutzen MTV-Videos auf ihr richtiges Maß, indem sie sich über die pathetischen Verrenkungen der Stars lustig machen, die mit absurden Labels einen Platz ganz oben in den Charts ergattern wollen. So sicher wie das Video dem Radio-Star den Garaus machte, haben Beavis & Butt-Head verhindert, dass Rockvideos das junge Publikum zu einer willenlose Masse machen, die sich von den neuesten Trends überrollen lässt.

Im Laufe der Zeit hat die Elektronik- und Computerindustrie ahnungslos Werkzeuge produziert, die den Kids nicht nur halfen, die Medien zu entzaubern, sondern das Medium ihrer Wünschen selbst zu basteln. Nicht umsonst spricht man in der Fernsehbranche von " Programming" - nur ist damit nicht das Produkt gemeint, sondern der Konsument; Geschichten und Werbespots sollen uns in den Zustand schauriger Erwartung versetzen.

Während die Erwachsenen sich mit militärischer Disziplin durch ein Programm nach dem anderen kämpfen, können ihren Kindern auch die geschicktesten Programmschienen - vor allem, wenn sie mit Werbespots gespickt sind - kaum Respekt einflößen. Hemmungslos zappen sie durch die Gegend. Je mehr Programme, desto besser.

Das Kabelfernsehen erhöhte die Zahl der Kanäle und damit die Zahl der surfbaren Brüche. Die Medienlandschaft wurde zum idealen Platz für Surfmeisterschaften. Kinder sind nicht das klassische TV-Publikum. Die verschiedenen Angebote sind für sie Mittel zum Zweck der eigenen Programmgestaltung. Wie sehr wir auch über die mangelnde Konzentrationsfähigkeit unserer Kinder klagen, ihre Fähigkeit, eine Distanz herzustellen, hat immerhin bewirkt, dass sie sich selbst von den gerissensten TVHypnotiseure nicht einfangen lassen. Sie weigern sich, zum ausschließlich passiven Zuschauer abgestempelt zu werden. Das Kind der Fernbedienung hat vielleicht tatsächlich eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne, dafür ist diese aber viel ausgedehnter.

Worauf es im 21. Jahrhundert ankommt, ist nicht die Dauer der Aufmerksamkeit, sondern das Vermögen, viele Dinge gleichzeitig und gut zu erledigen. Statt ihnen dafür zu gratulieren, diagnostizieren wir ihre Stärke als Schwäche, um sie dann mit Medikamenten gefügig zu machen.

Der Nintendo-Joystick für Computerspiele ist ein weiteres Instrument in der Hand der Chaos Kids, um das Dilemma der Tele-Programmierer vollständig zu machen. Früher war das Bild auf dem Schirm unantastbar - aus den Rundfunkanstalten wurden Fertigprodukte an die privaten Haushalte geliefert. Die Kinder von heute haben genügend Erfahrung mit den neuen Technologien, um jedes Bild beliebig zu manipulieren. Das hat ihre Einstellung zum technischen Fortschritt gründlich geändert.

So wie die Fernbedienung das Bild beherrscht, hat der Joystick das Pixel entzaubert. Im übertragenen Sinn gilt das für alle Medien. Hierarchische Machtstrukturen sind im Schwinden, die Waffen der Programmierer sind neutralisiert.

Die Kinder wachsen in Haushalten auf, deren Zentrum der Computer ist. Das Fernsehgerät ist für sie kein Orakel, sondern eine Öffnung, durch die sie kommunizieren. Es kann schon vorkommen, dass sie ab und zu ein Programm von Anfang bis zum bitteren Ende verfolgen - aber immer, weil sie es so wollen und im vollen Bewusstsein ihrer Komplizenschaft. Kapitulation ist das nicht. Die Fernbedienung, der Joystick und die Computer-Maus haben unwiderruflich die Beziehung der Jungen zur Informationstechnologie geprägt. Die Kids bestimmen den Inhalt, sie machen mit den Medien "was sie wollen".

Als Reaktion darauf schlagen die Software-Hersteller zurück. Sie entwickeln komplexere Interfaces, um die Screenager daran zu hindern, eigene Programme zu gestalten. Die Werbe-Spots nehmen den Zynismus aufs Korn, den die junge Generation zu ihrem Schutz entwickelt hat. In Sendungen, die es früher nicht gab, werden Eltern nicht nur über die Gefahren der Porno-Industrie gewarnt, sondern auch vor militanten Extremisten, die im Internet lauern, um aus den Kids Bombenbauer zu machen.

Alles in allem bahnt sich ein Kampf gegen die Jugendkultur an, der hoffentlich aussichtslos ist. Wie alle indigenen Völker, haben Screenager den Heimvorteil im medialen Universum: Sie kennen das Terrain.

Derzeit suchen sie immer noch nach Vorbildern (denen zu misstrauen sie gelernt haben) und nach Orientierungshilfe. Ohne Beziehung zu traditionellen Werten, abgesehen von Marketing und PR, suchen sie den Sinn des Lebens in einer kulturellen Landschaft, die durch Isolation und Konsumdenken verödet ist.

Doch ihre Energie ist ungebrochen. Wenn Gruppensport ihren Kampfgeist überfordert, wenden sie sich "extremen" Sportarten wie Skateboarding zu, um nicht auf institutionalisierte Hilfe angewiesen zu sein. Wenn Discos für ihren Geschmack zu kommerziell und synthetisch sind, organisieren sie Raves und Clubbings, ohne auf die Hilfe oder Zustimmung der Anderen angewiesen zu sein.

Ihre Suche nach dem Sinn ihrer Existenz mag oft abstoßend und alarmierend sein vielleicht ist das sogar Absicht. Piercen und Tätowieren ist in den Augen vieler Erwachsener eine Form der Selbstverstümmelung. Die Jugend sieht darin eine bewusste Selbstmodifikation, als Ausdruck der Authentizität in einer Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, ihnen ein Gefühl der Geborgenheit zu geben.

Gemeinschaftssinn finden sie in Cliquen und den Gangs der Stadtzentren, da Schule und Kirche ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit nicht mehr vermitteln. Die Brutalität der Videospiele ist für sie eine Ablenkung von der Realität in den Straßen und den Weltuntergangsvisionen der Teleevangelisten.

Nicht über die Art und Weise dürfen wir entsetzt sein, wie junge Menschen sich einer Kultur der Orientierungslosigkeit anpassen, sondern über unsere Unfähigkeit, eine Marketing- und Wirtschaftsmaschinerie abzustellen, die außer Kontrolle gerät. Unsere Kinder lernen mit dem Chaos umzugehen, es vielleicht sogar zu zelebrieren, doch dürfen wir nicht vergessen, dass wir es sind, die sie in das Chaos stoßen.Wir müssen die Reaktionen und Ansichten unserer Kinder respektieren und mit offenem Herzen annehmen.

Ihre Anpassungsfähigkeit ist bewundernswert, nicht beklagenswert.
 
Vor allem aber geht es darum, Zukunftsperspektiven zu entwickeln, die auch und vor allem die Interessen und die Kreativität der jungen Menschen
einbeziehen, statt ihnen unsere abgelegten Visionen aufzuzwingen.
 

© DER STANDARD/World Media Network

 
Douglas Rushkoff ist Sozialtheoretiker und Autor von Büchern über die Grenzen und neuesten Entwicklungen der "popular culture".
Sein jüngstes Buch ist unter dem Titel "Chaos Kids. Oder das aufregende Leben in der Welt der Datenströme" (Knaur, München 1997) in deutscher Sprache erschienen. Weitere Literatut zum Thema "Kinder und neue Medien" erhalten Sie von uns auf Anfrage.
 
Unser Tip: In der Broschüre "Multimedia Kids" der Wiener Kinderfreunde finden Sie wertvolle Hinweise für Eltern, allgemeine Informationen, praktische Ratschläge und eine Auswahl empfehlenswerter Computerspiele. Zu bestellen unter 01/512 12 98/46, Kostenpunkt ATS 30,-
 
 

 

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