Heißes Eisen Sexualerziehung
"Eine eingehende und wissenschaftlich fundierte Aufklärung junger
Menschen über die Verhütung von Krankheiten und unerwünschten
Schwangerschaften hilft ihnen dabei, verantwortungsbewusste Entscheidungen
zu treffen und ihre Gesundheit zu schützen. Sie führt nicht zu
einem früheren Beginn sexueller Aktivität."
Obiges Zitat stammt aus dem Bericht "Sexualerziehung in der Europäischen
Region" hervor, der vom Europa-Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) vor kurzem veröffentlicht wurde. Der Bericht wurde vom Europäischen
Netzwerk des Internationalen Verbandes für Familienplanung (IPPF)
in Zusammenarbeit mit der Universität Lund (Schweden) und der
WHO erstellt. Die finanzielle Unterstützung dafür kam von der
EU.
Die Analyse der in den einzelnen Ländern etablierten Formen der
Sexualerziehung zeigt in Europa noch einige Defizite auf. So wird
von den meisten Fachleuten betont, dass institutionalisierte Sexualerziehung
in der Schule jeweils fächerübergreifend erfolgen sollte. In dem
Report heißt es unter anderem: "Es ist in Europa noch immer eine
Seltenheit, dass Sexualerziehung außerhalb der Volksschule über
den gesamten Lehrplan hinweg durchgeführt wird." Oft werde sie
in Fächer wie Biologie "abgeschoben". Sie konzentriert sich dann
fälschlicherweise nur auf Biologie und Gesundheitsaspekte (HIV
etc.), statt Partnerschaft und gegenseitige Verantwortung zu betonen.
So publizierte die irische CPA (Crisis Pregnancy Agency; "Krisenbüro
für Schwangere") 2005 die Empfindungen vieler Teenager, dass ihnen
in der Schule und von den Lehrern nicht gesagt werde, was sie
über Partnerschaft und Verhütung wissen sollten. Auch kritisierten
sie, dass sich die Aufklärung zu stark auf das biologische Feld
beziehe. Es verärgert die jungen Menschen, dass ihnen so die Chance
darauf genommen werde, das Entscheidende zu lernen. Dazu gehören
Themen wie Moral, emotionale und soziale Fragen und das Wissen
um den praktischen Umgang mit Verhütungsmitteln. Abgesehen davon,
so der Bericht der CPA, haben viele Jugendliche bereits vor der
schulischen Aufklärung erste sexuelle Erfahrungen. So verliert
der Sexualunterricht an Effektivität bzw. erfolgt einfach zu spät.
Akzeptanz von Sexualerziehung
Die Untersuchung der erhobenen Daten zeigt deutlich, dass eine
vollständige Akzeptanz von Sexualerziehung bei allen Bevölkerungsgruppen
nur in wenigen Ländern gegeben ist und, dass die jeweiligen politischen
Rahmenbedingungen dabei immer noch eine erhebliche Rolle spielen.
So findet Sexualerziehung, laut der Studie, in Ländern wie Dänemark
und den Niederlanden allgemeine Akzeptanz und Unterstützung, während
in Ländern wie Tschechien, Deutschland, Irland und Polen teilweise
heftiger Widerstand herrscht.
Die österreichische Position
In Österreich wurde am 24. November 1970 auf Druck der Frauenbewegung
und auf Expertenanraten eine Verordnung bezüglich Sexualaufklärung
in Schulen erlassen. Sexualunterricht sollte interdisziplinär
nach Richtlinien in den Unterricht eingebaut werden. Die Richtlinien
bis heute unverändert besagen, dass die gesamte Schule in
den Sexualunterricht involviert sein soll, also fächerübergreifend
auf Biologie, Deutsch und Religion, dass interdisziplinäre Projekte
organisiert werden sollen und nicht zuletzt auch die Eltern involviert
werden sollten. Es wurde auch festgelegt, dass im Gegensatz
zu manch anderen Ländern Eltern ihre Kinder nicht vom Sexualunterricht
abmelden können. Sie sollen jedoch in die Konferenzen involviert
werden und über den Stoff der vorgetragen wird, informiert werden.
Schwächen in der Umsetzung der Verordnung
Auch in Österreich zeigt sich, dass sich die Sexualerziehung auf
die biologische Seite beschränkt und Themen wie Ethik, Psychologie
oder soziale Fragen wenig behandelt werden. Dies ist auch darauf
zurückzuführen, dass Lehrer und Schulen individuell mit den Richtlinien
verfahren können. Oft wird dieses Thema einfach auch vernachlässigt.
Ein weiteres Problem stellt wohl auch die Finanzierung dar. Viele
Projekte sind nur zum Teil vom Staat gefördert und hier gibt es
dann vor allem ortsabhängige Unterschiede. In größeren Städten
wie Wien ist es einfacher, finanzielle Unterstützung, wie zum
Beispiel von der ÖGF (Österreichische Gesellschaft für Familienplanung)
zu bekommen als für Schulen auf dem Lande, die oft auch nicht
die Möglichkeit haben, an solchen externen Projekten teilzunehmen.
So ist manchen Schulen nicht einmal bekannt, dass es diese externen
Förderungen gibt.
Der Einfluss der Religionsgemeinschaften
Religiöse Gemeinschaften spielen, laut WHO, mittlerweile bei der
sexuellen Aufklärung von Jugendlichen eine immer wichtigere Rolle.
Obwohl Sexualaufklärung an vielen Schulen in der Region aufgrund
des starken Drucks religiöser Gruppen vernachlässigt wird, nimmt
andererseits die Beteiligung religiöser Organisationen (wie etwa
der Orthodoxen Kirche in Griechenland) auf diesem Gebiet zu.
Die katholische Kirche Hauptreligion in Österreich- hat auch
heute noch starken Einfluss in Österreichs Schulen, womit der
Sexualunterricht noch immer ein kontroverses Unterrichtsthema
darstellt. So ist auf der Homepage des Vatikans zu lesen: "...Die
Schule schließlich, die sich bereit erklärt hat, Programme zur
sexuellen Aufklärung zu entwickeln, tritt dabei häufig an die
Stelle der Familie, und zwar in aller Regel mit rein informativen
Absichten. Und so kommt es zuweilen zu einer regelrechten Verbildung
des Gewissens... Die Eltern selbst haben in vielen Fällen wegen
der Schwierigkeit und mangelnder Vorbereitung darauf verzichtet,
ihrer Aufgabe in diesem Bereich nachzukommen, oder sie sind damit
einverstanden, sie anderen zu überlassen." (siehe Quellenangabe)
Weiters wird davon gesprochen, dass Eltern Unverständnis haben
gegenüber Informationen, die in der Schule erteilt und dann von
den Kindern nach Hause gebracht werden. Deshalb bedürfe es des
päpstlichen Rates. Um dem Problem der "Tendenz zur Banalisierung
des Geschlechts" entgegenzutreten, rät die Kirche, nach den von
ihr entworfenen Leitlinien zu handeln. So empfiehlt die katholische
Kirche:"...Jugendliche sollen über die Würde, die Aufgaben und
den Vollzug der ehelichen Liebe am besten im Kreis der Familie
selbst rechtzeitig in geeigneter Weise unterrichtet werden." Vorgesehen
ist hier, dass durch Enthaltsamkeit (Keuschheit vor und in der
Ehe) und Gottesvertrauen die Probleme bewältigen werden.
Ungewollte Schwangerschaften - ein Problem mangelnder Information?
In Österreich erleben die Mädchen und Burschen im Durchschnittsalter
von 16,3 Jahren "das erste Mal" und damit im Vergleich mit Altersgenossen
aus 26 europäischen Staaten sehr früh. Eine Zahl von 13,2 Prozent
an Teenager-Schwangerschaften in Österreich kommt unter anderem,
laut dem Bericht der WHO, durch die Defizite in der Sexualaufklärung
und mangelnde bzw. nur höherschwellig erreichbare Mittel zur Empfängnisverhütung
zustande. Diese führen schließlich zu unerwünschten Schwangerschaften.
Was die Geburtenrate betrifft, so liegen Österreichs Teenager
(zwischen 15 und 19 Jahren) im Mittelfeld. In Zypern, Schweden
und Dänemark ist diese zum Beispiel nur halb so hoch.
Die Verantwortung von Medien und öffentlichen Einrichtungen
In der Publikation der WHO wird nachdrücklich darauf hingewiesen,
dass die Massenmedien eine bedeutende Rolle bei der Sexualaufklärung
spielen können. Deren Sichtweise unterscheidet sich von Land zu
Land allerdings erheblich. So leisten insbesondere in den skandinavischen
Ländern die Medien insgesamt eine wichtige Unterstützungs- und
Informationsarbeit in Fragen der Sexualaufklärung.
In Dänemark etwa haben nationale Rundfunkanstalten kostenlose
Sendezeit für Programme zur Sexualaufklärung zur Verfügung gestellt.
In anderen Ländern, wie Grossbritannien, werden sexuelle Themen
eher reißerisch ausgebeutet - mit negativen Auswirkungen auf die
Sexualaufklärung.
An öffentlichen Einrichtungen, die Hilfe und Information zur Sexualaufklärung
bieten, mangelt es in Österreich nicht. Hier sei auf die ÖGF verwiesen.
Auf der Homepage werden Informationen zu Themen wie Verhütung,
Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung geboten.
Resumee
Dr. Gunta Lazdane, Regionalbeauftragte für reproduktive Gesundheit
und Reproduktionsforschung beim WHO-Regionalbüro für Europa weit
jedoch auch darauf hin, dass Sexualaufklärung über die reine Informationsarbeit
hinaus geht.
Sie hilft jungen Menschen auch dabei, Wertvorstellungen und Fähigkeiten
zu entwickeln, die sie bei ihrem Sexualverhalten die richtigen
Entscheidungen treffen lassen. Selbstachtung und Achtung für andere,
wohlüberlegte Entscheidungen in Bezug auf das eigene Sexualverhalten
und der Erwerb von emotionaler Intelligenz sind die wichtigsten
Ergebnisse dieses Lernprozesses.
Quellen: WHO-Regionalbüro für Europa, Österreichische Gesellschaft
für Familienplanung ÖGF, Vatikan, Irisches Krisenbüro für Schwangere
Unser Kommentar: Es mag wohl verblüffend sein, dass viele Mädchen (und auch Burschen!
Schließlich sind sie nicht ganz unbeteiligt) im heutigen Informationszeitalter
aus Mangel an Wissen ungewollt Mutter bzw. Vater werden. Hier
hat die katholische Kirche wohl Recht, dass die Familie das
Elternhaus eine entscheidende Rolle spielt. Was sie jedoch nicht
so gern akzeptiert, ist die menschliche Neugierde. Diese "Gelüste"
zu verteufeln ist genauso wenig zielführend, wie der Aufruf, es
der Jungfrau Maria (wobei die tatsächliche Übersetzung des biblischen
Textes "die junge Frau, Maria" lautet) gleichzutun, indem man
in vor- und ehelicher Keuschheit lebt. Auch Versuche, den Nachwuchs
von diesem Thema fern zu halten verbreiten nur Unsicherheit und
Unverständnis. Eine falsche Vorstellung von Sex - und was dazugehört
- kann Schlimmes anrichten, obwohl es die Eltern und Lehrer oft
nur gut meinen. Aber apokalyptische Prophezeiungen über Folgeschäden
frühzeitigen Körperkontakts und Ähnliches rufen unnötige Ängste
und ein unnatürliches Bild der Sexualität im Teenager hervor.
Die Brisanz eines Themas kann man nicht dadurch nehmen, indem
man "die Sache" verheimlicht. Ganz im Gegenteil, nur vollkommene
Offenlegung nimmt dem Thema die Spannung -oder haben Sie je erlebt,
dass ein Kind, angesichts eines verpackten Geschenks, völlig das
Interesse verliert, wenn sie ihm sagen, dass das Paket erst zum
Geburtstag - in 4 Wochen geöffnet werden darf? Ist das Geschenkspapier
erst einmal heruntergerissen und der Inhalt erkundet, legt sich
das Interesse und Entspannung tritt ein. Zu glauben, man könnte
das Geschenk erst bei der Feier herzeigen wäre fatal, denn das
Kind entdeckt es vielleicht vorher egal wie gut sie es verstecken
wollen und dann könnte passieren, dass es das Geschenk selbst
öffnet und völlig unvorbereitet mit dem Inhalt konfrontiert wird.
Wenn Sie dann zum Geburtstag glauben, bereit für die Geschenkübergabe
zu sein, dann werden Sie eine Überraschung erleben. Das Kind hat
sich längst selbst etwas auf den Inhalt zusammengereimt und das
entspricht dann vielleicht nicht dem, was es eigentlich hätte
sein sollen. Deshalb ist des sehr wichtig, dass Jugendliche ein
normales Verhältnis zur Sexualität aufbauen und dadurch ein Gefühl
dafür entwickeln können, was denn richtig oder falsch ist. Es
liegt in unserer Verantwortung, den jungen Menschen über die Sexualität,
Beziehung und die Liebe bescheid zu geben, damit es ihnen leichter
fällt, sich selbst und ihre Gefühle besser zu verstehen. Das Erwachsenwerden
ist auch so schon schwierig genug.
Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun
Links:
Österreichische Gesellschaft für Familienplanung: http://www.oegf.at
Vatikan: Päpstlicher Rat für die Familie:Menschliche Sexualität:Wahrheit
und Bedeutung
Orientierungshilfen für die Erziehung in der Familie:http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/family/documents/rc_pc_family_doc_08121995_human-sexuality_ge.html
Irisches Krisenbüro für Schwangere CPA: http://www.crisipregnancy.ie/
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur/ Sexualerzeihung
in den Schulen: http://www.bmbwk.gv.at/schulen/unterricht/prinz/Unterrichtsprinzipien_Se1597.xml
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen: Sexualaufklärung
http://www.frauenratgeberin.at/
Psychologische Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: http://rataufdraht.orf.at/
Literatur:
Dagmar Geisler: Mein Körper gehört mir! Ein Aufklärungsbuch der
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Dagmar Geisler: Das bin ich - von Kopf bis Fuß. Selbstvertrauen
und Aufklärungen für Kinder ab 7. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Jan-Uwe Rogge: Von wegen aufgeklärt! Sexualität bei Kindern und
Jugendlichen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Godwin Lämmermann: Wenn die Triebe Trauer tragen. Von der sexuellen
Freiheit des Christenmenschen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen
Veröffentlichte Erregung?
Wiener Jugendgesundheitsbericht 2002
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