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Umstrittene Rezepte gegen Störenfriede

Das Unterrichtsressort stellt "Erziehungsmittel" gegen Fehlverhalten vor. Psychologen wollen hingegen umfassendere Konzepte, berichtet Martina Salomon.

Wien - Was tun mit einem Schüler, der täglich zwanzig Minuten zu spät in die Schule kommt? Oder mit einem, der permanent aggressiv die Unterrichtsstunde stört? Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer hat vor einem Jahr in einem STANDARD-Interview die Debatte über neue "Erziehungsmittel" eröffnet. Mittlerweile hat im Ressort eine Expertengruppe zu dem Thema getagt. Das Ergebnis: Es wird den Schulen obliegen, Konsequenzen aus Fehlverhalten selbst zu vereinbaren. Davor soll das umstrittene Thema aber noch breit im Internet diskutiert werden.

Das Unterrichtsressort (www.bmuk.gv.at) will Beispiele von Schulprojekten ins Netz stellen. Etwa jenes der Grazer International Bilingual School, das laut Sektionschef Heinz Gruber allerdings an der Grenze dessen ist, was von vielen als Erziehungsmittel noch akzeptiert wird: Dort gibt es einen "Transfer". Wenn Schüler trotz wiederholter Ermahnungen weiter stören, müssen sie sich für eine Zeit lang in einen anderen Raum begeben.

Ordnungsdienste . . .

In weiteren Modellen werden jugendliche Vandalen zu "Ordnungsdiensten" verdonnert. Steinzeitpädagogik wie Eckenstehen oder kollektive Bestrafung soll damit nicht wieder eingeführt werden, versichert Gruber im STANDARD-Gespräch. Dafür bürgt schon das Schulunterrichtsgesetz, demzufolge beides verboten ist. Erlaubt sind hingegen zusätzliche Arbeitsaufträge - aber nur, wenn sie unter dem Titel "nachträgliche Erfüllung versäumter Pflichten" laufen. Damit im Klassenzimmer keine "unpädagogischen" Verträge entstehen, müssen Eltern, Direktoren und Schulaufsicht ein waches Auge darauf haben.

Die neuen Erziehungsmittel sollen auf keinen Fall das Prinzip untergraben, wonach helfen statt strafen Priorität habe, sagt Gruber zum Vorwurf des Wiener Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz, der vor "schwarzer Pädagogik" warnt. Laut Gruber ist in den letzten Jahren - mit Hilfe neuer Beratungs- und Stützlehrer - bereits sehr viel geschehen.

Trotzdem fühlen sich viele Lehrer überfordert. Das weiß Psychologin Gondi Kunz aus ihrer täglichen Praxis. Sie leitet therapeutische Jugendgruppen und kann von Schulen angefordert werden. Ihrer Erfahrung nach brauchen gerade verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche besonders viel Struktur. Deshalb findet Kunz gemeinsame Abmachungen, an die sich alle halten müssen, positiv. So wird in ihrer "psychomotorischen Gruppe" im Wiener Frauenhaus wie im Fußball mit gelben und roten Karten gearbeitet. Nach zwei Verwarnungen ("gelb") wird "rot" angezeigt, so dass sich der Störenfried in die Kuschelecke verabschieden oder die Stunde abbrechen muss.

Eine der Ursachen für Verhaltensstörungen ist die Vereinsamung, glaubt die Therapeutin. Durch den Zerfall vieler Familien gebe es weniger persönliche Betreuung und weniger Bezugspersonen. Kinder sitzen außerdem zu oft vor dem Fernseher.

. . . und Fortbildung

Wobei schichtenspezifische Formen von Verwahrlosung entstehen. Dort, wo Eltern drogensüchtig sind, neigen die Kinder zu Cannabis oder im schlimmsten Fall Heroin, weil sie "den starken Kick" suchen. In "Snobschulen" beobachte man, dass sich "Milieuverwahrlosung" und Leistungsdruck in Kokainkonsum niederschlage. Am Land wiederum herrsche zum Teil massiver Alkoholmissbrauch, sagt Kunz. Viele Lehrer beklagten, mit diesen Problemen überfordert zu sein. Doch Fortbildungsveranstaltungen zur Suchtprävention, die Pädagogen in ihrer Freizeit absolvieren müssten, werden "sehr, sehr wenig angenommen", kritisiert Kunz.

Ihre Schlussfolgerung: Punktuelles "Rausnehmen" der Verhaltensauffälligen aus der Klasse ist im Einzelfall sinnvoll, als singuläre Maßnahme aber nur Symptom-Bekämpfung. Man müsse sich mit Jugendlichen individuell auseinander setzen. Neben mehr Fortbildung für Lehrer wünscht sich die Psychologin für Kinder und Jugendliche bessere Freizeitangebote.

© Der Standard

 

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