Die Zahl übergewichtiger Kinder steigt
Jedes fünfte Kind leidet heute an krankhaftem Übergewicht. Experten
warnen bereits vor einer "verlorenen Generation", denn die falschen
Ernährungsgewohnheiten der Kindheit legen den Grundstein für zahlreiche
Zivilisationskrankheiten (Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Bluthochdruck,...) in späteren Lebensjahren. - Geradezu explosionsartig
nimmt die Zahl der schwer übergewichtigen Kinder und Jugendlichen
zu.
In Deutschland seien etwa ein Fünftel der Kinder übergewichtig,
sagt der deutsche Ernährungsmediziner Manfred Müller von der Universität
Kiel. Als übergewichtig gelten Kinder mit einem Body-Mass-Index
(BMI = kg / m2) über 25. "Für Österreich gibt es keine konkreten
Zahlen zur Häufigkeit von Übergewicht bei Kindern", berichtet
Dr. Kurt Widhalm von der Wiener Universitätsklinik für Kinder-
und Jugendheilkunde. Im internationalen Vergleich sei Österreich
aber eher am oberen Ende des Spektrums anzusiedeln.
Als Ursachen der Adipositas bei Kindern gelten die ständige Verfügbarkeit
von Nahrung und chronischer Bewegungsmangel im Zusammenspiel mit
einem Übermaß an TV-Konsum und Videospielen, listet Widhalm auf.
Dazu kommen genetische, aber auch psychische Faktoren, denn Essen
wirkt bei vielen Kindern als Angstlöser und hilft gegen Stress
oder Langeweile. Etwa 80 Prozent der dicken Kinder sind auch als
Erwachsene übergewichtig, zeigen Statistiken, und der Speck in
jungen Jahren führt dazu, dass Begleiterkrankungen immer früher
auftreten: "Schon jetzt warnen US-amerikanische Ärzte vor einem
rasanten Anstieg der Zahl Jugendlicher mit Diabetes Typ 2 - einer
Erkrankung, von der man traditionell dachte, dass sie überwiegend
im höheren Lebensalter vorkommt", sagt der schottische Ernährungsexperte
Philip James. Auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden große
Zuwächse erwartet. Eine aktuelle Studie der Columbia University
zeigt, dass Kinder mit sehr hohem BMI schon im Kleinkindalter
unter Bluthochdruck leiden.
"Die übergewichtigen Kinder sind ein schwer behandelbares Kollektiv",
erklärt Widhalm. Die übermäßige Nahrungsaufnahme sei wie eine
Art von Suchtverhalten. "Die dicken Kinder sind aber nicht willensschwach,
sondern sie sind krank", verdeutlicht Dr. Widhalm. Dementsprechend
umfassend müssen Gegenmaßnahmen aufgebaut sein. Als erfolgreich
erwiesen haben sich etwa Gesundheitserziehung in der Schule sowie
Projekte, die die meist übergewichtige Familie des betroffenen
Kindes einbeziehen. Wenn man nicht auch die Mutter als Köchin
integriert, wird man kaum Erfolg haben.
Studie: Stillen schützt vor Übergewicht
Die verschiedenen Methoden, übergewichtige Kinder zu einer Gewichtsreduktion
anzuleiten, sind aber teuer und manchmal wenig erfolgreich. Es
werden daher Möglichkeiten gesucht, die Entstehung von Übergewicht
bereits im Ansatz möglichst einfach, billig und nebenwirkungsfrei
zu verhindern. Stillen entspräche diesen Kriterien, die bisherigen
Studien, die den positiven Einfluss des Stillens auf die Vermeidung
von Übergewicht nachwiesen, waren zu klein und zu wenig aussagekräftig.
In einer Studie (Kries, R. et al.: Breast feeding and obesity:
cross sectional study. British Medical Journal 1999, 319: 147
- 150) im Rahmen der üblichen Gesundenuntersuchung vor Schulbeginn
wurden Größe und Gewicht von 134.577 bayerischen Kindern erhoben.
Zusätzlich wurden die Eltern von 13.345 Kindern gebeten, Fragebögen
zu frühkindlicher und gegenwärtiger Ernährung und zu den Lebensgewohnheiten
ihrer Sprösslinge auszufüllen. Die Daten von 9.206 Kindern zwischen
fünf und sechs Jahren gelangten zur Auswertung über die Stilldauer.
Erhoben wurde neben den derzeitigen Ernährungsgewohnheiten unter
anderem, ob und wie lange das Kind gestillt worden war, in welchem
Zeitraum es voll gestillt und ab wann mit dem Zufüttern begonnen
worden war.Als "voll gestillt" wurden Kinder dann bezeichnet,
wenn sie im angegebenen Zeitraum ausschließlich Muttermilch bekommen
hatten.Die Kinder wurden als übergewichtig eingestuft, wenn ihr
Body-Mass-Index dem der obersten10 Prozent des deutschen Durchschnitts
entsprach, als adipös, wenn sie im Bereich der obersten drei Prozent
lagen.
Ergebnisse:
5184 der Kinder waren unterschiedlich lang gestillt worden, 4022
Kinder hatten nie die Brust bekommen.4,5 Prozent der Kinder, die
nie gestillt worden waren, hatten Übergewicht,
im Vergleich zu durchschnittlich 2,8 Prozent der gestillten Kinder.
Ein deutlicher Zusammenhang bestand zwischen der Dauer des Stillens
und dem
Auftreten von Adipositas:
3,8 Prozent der für zwei Monate voll gestillten Kinder,
2,3 Prozent der drei bis fünf Monate lang voll gestillten Kinder,
1,7 Prozent der sechs bis zwölf Monate voll gestillten Kinder
und nur noch
0,8 Prozent der über ein Jahr lang voll gestillten Kinder waren
adipös.
Diese Wirkung des Stillens konnte nicht mit sozialem Status oder
Lebensstil in Zusammenhang gebracht werden und wurde von den Forschern
auf die ideale Zusammensetzung der Muttermilch zurückgeführt.
Das ursprüngliche Ziel dieser ausführlichen und gut dokumentierten
Studie war eine Erhebung von ernährungsbedingten Auslösern für
allergische Erkrankungen. Die erhobenen Daten waren jedoch ausreichend
für eine Bewertung hinsichtlich Stilldauer und Übergewicht.
Bei der Studie handelt es sich um die größte Untersuchung von
Still- und frühkindlichen Ernährungsgewohnheiten in Zusammenhang
mit Übergewicht.
In westlichen Ländern könnte die Förderung einer verlängerten
Stillzeit dabei helfen, das Auftreten von Übergewicht bei Kleinkindern
und Kindern zu reduzieren. Da dicke Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu dicken Erwachsenen werden, könnten solche Präventivmaßnahmen
zu einer Verringerung von Herzleiden und anderen durch Übergewicht
begünstigten Erkrankungen führen.
© Der Standard, British Medical Journal
Literatur zum Thema Esssucht:
Hilde Bruch: Essstörungen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch
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Birgit Buchinger; Beate Hofstadler: Warum bin ich dick? Lebensprobleme
und Übergewicht bei Frauen. Wien: Döcker-Verlag, 1997. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Ingeborg Stahr; Ingrid Barb-Briebe; Elke Schulz: Essstörungen
und die Sucht nach Identität. Ursachen, Entwicklung und Behandlungsmöglichkeiten.
Weinheim (u.a.): Juventa-Verlag, 1995. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Susie Orbach: Anti-Diät-Buch II. Eine praktische Anleitung zur
Überwindung von Esssucht. München: Frauenoffensive. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Weitere Informationen zum Thema Stillen finden Sie im Beitrag
"Muttermilch macht intelligent"
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