"... und, was macht die Schule?"
von Birgit Oberwalder
Fühlen sich unsere Kinder angefangen vom Volksschüler bis zum
Berufsschüler wohl in der Schule? Wie zufrieden sind sie mit
dem System und sind die Noten fair? Leiden unsere Kinder an Prüfungsangst
und sind sie integriert in die Klassengemeinschaft? Viele Fragen,
die Universitätsprofessor Ferdinand Eder in seiner Studie 7625
Schülern aus Österreich gestellt hat und auf die er einige interessante
Antworten bekam.
Die Studie von Univ.Prof. Dr. Eder, Leiter des Fachbereichs Erziehungswissenschaft
der Universität Salzburg, über das Befinden von Kindern und Jugendlichen
in der österreichischen Schule (2006) beschäftigt sich detailliert
mit sogenannten aktuellen Merkmalen (z.B. Wohlbefinden in der
Schule), den überdauernden Merkmalen, die in der Persönlichkeit
der Schüler verankert sind, (z.B. Selbstwertgefühl) und der individuellen
Lage in der Schule (z.B. Integration bei Mitschülern). Dazu wurden
im Jahre 2005 insgesamt 7625 Schüler von der 4. bis zur 12. Schulstufe
befragt. Diese besuchten entweder die Volksschule (VS), die Hauptschule
(HS), AHS-Unterstufe (AHS-U) oder Oberstufe (AHS-O), Polytechnische
Schule (PTS), Berufsschule (BS), Berufsbildende Mittlere Schule
(BMS) oder die Berufsbildende Höhere Schule (BHS).
Aktuelle Merkmale
Befinden:
Der Großteil der Schülerinnen und Schüler geht gern zur Schule,
wobei die Mädchen hier etwas überwiegen. 70% der Mädchen und 56%
der Burschen gehen "sehr gerne" oder "gerne" in die Schule. Insgesamt
"sehr gut" oder "gut" gefällt es 80% der Mädchen und 71% der Burschen
in der Schule. Die Freude an der Schule sinkt allerdings mit dem
Anstieg der Schulstufe, sowohl bei den Mädchen als auch bei den
Burschen.
Zufriedenheit:
In der Volksschule ist auch die Zufriedenheit am größten. Diese
sinkt dann rasch ab und erreicht in der achten Schulstufe einen
Tiefpunkt. Danach steigt sie in den weiterführenden mittleren
und höheren Schulen wieder etwas an und bleibt dann in etwa konstant.
Hier zeigt sich, dass die Mädchen insgesamt etwas zufriedener
sind als die Burschen. Was den Schultypus betrifft, so sind die
Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I in der AHS am
zufriedensten. Die Berufsschulen und die Berufsbildenden Mittleren
Schulen liegen, was sie Zufriedenheit betrifft, deutlich unter
den anderen Schultypen.
Schul- und Prüfungsangst:
Hier stimmen deutlich mehr Mädchen als Burschen zu, dass sie Angstverhalten
in Prüfungssituationen aufweisen. Insgesamt sind es etwas mehr
als 20% der Schülerinnen und Schüler, die unter Angst leiden.
Hier zeigt sich, dass in der Volksschule die Angst noch am geringsten
ist. Diese steigt mit Wechsel in die Sekundarstufe I, wobei sie
in der AHS etwas stärker ist als in der Hauptschule. Ab der siebten
Schulstufe bleibt die Angst in etwa konstant und geht gegen Ende
der Schullaufbahn etwas zurück.
Schulstress:
Was den Schulstress angeht, so berichten Mädchen deutlich öfter
darüber als Burschen. Auch der Stress steigt mit Anstieg der Schulstufe.
In der zehnten Stufe erreicht er den Höhepunkt. Bei den Burschen
sinkt der Stress bald, nach einem leichten Zuwachs zu Beginn der
Sekundarstufe II und erreicht oft wieder den Anfangswert.
Das heißt, dass beim Übergang von der Volksschule in die Sekundarstufe
ein deutlicher Zuwachs an psychischen Belastungen stattfindet,
welcher sich weitgehend kontinuierlich über die Jahre der Sekundarstufe
fortsetzt. Allerdings zeigt sich bei einem Vergleich mit Daten
aus den früheren Jahren, dass diese Belastungen beim Übergang
nicht mehr in jener Schärfe auftreten.
Überdauernde Merkmale
Zu diesen zählt man beispielsweise das Selbstwertgefühl, das Leistungsselbstkonzept
und das sogenannte soziale Selbstkonzept. Hier zeigt sich, dass
die Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt eine relativ positive
Selbstwahrnehmung haben. Das zeigt sich durch hohe Selbstakzeptanz
und sie schreiben sich soziale Fähigkeiten zu. Das Leistungsselbstkonzept
sinkt, im Gegensatz zum allgemeinen Selbstwertgefühl, mit ansteigender
Schulstufe. Besonders stark sinkt das Leistungsselbstkonzept wenn
die Schülerinnen und Schüler in die Sekundarstufe I kommen. Der
Geschlechtsunterschied ist hier sehr deutlich ausgeprägt. Die
Burschen haben allgemein ein besseres Leistungsselbstkonzept und
auch ein deutlich positiveres Selbstwertgefühl als die Mädchen.
Dieser Unterschied zeigt sich schon in der Grundschule, am deutlichsten
ist er in der Hauptschule. Was depressive Verstimmung betrifft,
sind Mädchen auch häufiger davon betroffen.
Individuelle Lage in der Schule
Beziehung unter den Schülerinnen und Schülern
Zu Beginn der Schullaufbahn freuen sich die meisten Schüler, wenn
sie nach dem Wochenende ihre Mitschüler wieder sehen. Doch auch
hier verschlechtert sich die positive Beziehung mit Anstieg der
Schulstufe, unabhängig vom Schultyp. Interessanterweise werden
aber auch die Konflikte weniger.
Beziehung zu den Lehrern
Der überwiegende Teil der Schülerinnen und Schüler (88% Mädchen,
80% Buschen) gibt an, zumindest "zu einigen" oder "zu allen"
Lehrern ein gutes Verhältnis zu haben. In der Volksschule und
Sekundarstufe weisen Mädchen die deutlich besseren Beziehungen
auf, wobei nachfolgend der Geschlechtsunterschied kleiner wird.
Geschlechtsverhältnisse an der Schule
Die Geschlechterbeziehung wird allgemein als positiv erlebt. Das
bedeutet, dass das soziale Miteinander überwiegt und mit höherer
Schulstufe ansteigend ist und sogar als partnerschaftlich bezeichnet
wird. Streit findet hauptsächlich innerhalb der Geschlechtergruppen
statt.
Zeitaufwand
Für die Schule muss sehr viel Zeit aufgewendet werden. So wenden
Volksschüler durchschnittlich 37,5 Stunden pro Woche für die Schule
auf, wobei hier die Zeit für den Unterricht, den Weg und die häusliche
Arbeitszeit berücksichtigt wurde. Den meisten Unterricht weist
der Schultyp BHS mit 36 Stunden auf, gefolgt von der AHS Oberstufe
mit 34 Stunden. Zu Hause am meisten arbeiten müssen Schülerinnen
und Schüler aus der AHS Unterstufe mit durchschnittlich 10 Stunden
21 Minuten und Schülerinnen und Schüler der BHS mit 10 Stunden
und 11 Minuten pro Woche. Auch der Geschlechtsunterschied macht
sich hier bemerkbar. Mädchen arbeiten deutlich mehr für die Schule,
vor allem in den weiterführenden Schulen.
Benotung
In der Grundschule wird noch eher Lernziel-orientiert benotet.
Das heißt, die Notenverteilung schaut so aus, dass am meisten
gute und sehr gute Noten verteilt werden. Nach dem Eintritt in
die Sekundarstufe I ändert sich das radikal. Nicht nur das Erreichen
von Lernzielen ist jetzt ausschlaggebend für die Note, sondern
die Schülerinnen und Schüler werden untereinander verglichen.
Somit zeigt die Notenvergabe eine Normalverteilung (d.h. die meisten
haben eine "Drei" und Richtung "Eins" und "Fünf" werden es immer
weniger). In der Sekundarstufe geht es soweit, dass sogar eher
mehr schlechte als gute Noten vorkommen. Hatte ein Schüler noch
in der Volksschule einen Notendurchschnitt von 2 so verschlechtert
sich dieser bis zur Sekundarstufe bis unter 3. So erleben viele
Schülerinnen und Schüler die Sekundarstufe als einen Prozess der
Verschlechterung.
Interessante Details
Kinder aus "vollständigen" Familien, die von den Eltern Zuwendung
und interessierte Anteilnahme erleben, fühlen sich in der Schule
meist wohler und weniger belastet. Zum Wohlbefinden trägt auch
bei, wenn Kinder und Jugendliche in Peergroups integriert sind.
Auch das Verhalten in der Freizeit und soziale Beziehungen außerhalb
der Schule tragen dazu bei, Belastungen der Schule besser zu verarbeiten
und ein positives Selbstgefühl zu entwickeln. Hier wird auch die
häufigste Freizeitbeschäftigung, das Zusammensein mit Freundinnen
und Freunden genannt. Daneben beschäftigen sich Burschen am häufigsten
mit dem PC/Internet/TV. Mädchen hingegen bevorzugen Musikhören
und Lesen. Für ein positives Gesamtbefinden ist ein Klima erforderlich,
das durch niedrigen Sozial- und Leistungsdruck und durch hohe
Schülerzentriertheit des Unterrichts gekennzeichnet ist.
Quelle: Eder, F.: Das Befinden von Kindern und Jugendlichen in
der österreichischen Schule. Salzburg 2006
Unser Kommentar: : Auf den ersten Blick vermittelt diese Studie den Eindruck,
als würde alles schlechter werden, je weiter man in seiner Schullaufbahn
ist. Das Befinden sinkt, die Zufriedenheit wird weniger, die Schülerinnen
und Schüler freuen sich immer weniger auf ihre Kollegen und dazu
muss man immer mehr Zeit für die Schule investieren, und trotzdem
werden die Noten immer schlechter. Mädchen sind immer mehr gestresst
und werden sogar depressiv. Jungen streiten zwar weniger, aber
der soziale Kontakt wird deshalb auch nicht wirklich besser. Also
insgesamt ein recht düsteres Bild. Bedeutet das, dass unser Schulsystem
falsch ist? Das Thema Bildungssystem (inklusive Gesamtschule,
Ferien,...) geistert bereits seit längerer Zeit durch die Medien
und das nicht erst seit PISA. Viele Schüler erleben Schule als
ein notwendiges Übel. Aber, auch wenn das extrem abgedroschen
klingt, und jeder Jugendliche (davon bin ich überzeugt) jetzt
genervt aufstöhnen wird, ich muss es trotzdem sagen: Später einmal
wird man bereuen, was man in der Schule vielleicht leichtfertig
versäumt hat. Nie mehr lernt man so leicht. Außerdem, was man
sich zu dieser Zeit aneignen konnte - scheint es noch so sinnlos
- kommt einem später zugute. Denn, liebe Schülerinnen und Schüler:
es gibt auch ein Leben nach der Schule. Man muss einfach das Beste
rausholen. Schule ist die Chance, vieles zu lernen, sowohl "trockenen
Stoff" als auch sogenannte "Softskills". Das sind Fähigkeiten,
in der Gesellschaft zurechtzukommen. Das Motto lautet also: Durchhalten,
das Beste rausholen und möglichst viel Freude daran finden (was
gelingt, wenn man sich interessiert) Und jetzt zum Abschluss noch
ein alter Hut: Man lernt nicht (nur) für die Schule, sondern fürs
Leben!
Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun
Literaturtipps:
Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler,
Lehrer und Eltern. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Vera F. Birkenbihl: Trotz Schule lernen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
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