Wiener Jugendgesundheitsbericht 2002
Im Oktober 2002 wurde der erste Wiener Gesundheitsbericht präsentiert.
Es handelt sich dabei um eine kritische Sichtung und Sekundäranalyse
vorliegender Studien. Neben der Zusammenstellung von Daten zum
physischen, psychischen und sozialen Ist-Zustand wurde auch das
subjektive Gesundheitserleben und das Risikoverhalten der 14-24jährigen
betrachtet.
Sex
Wie verhüte ich beim ersten Mal? Was soll ich tun, wenn ich die
Pille vergessen habe? Über Dutzende Fragen solcherart macht sich
wohl jeder Bursch oder jedes Mädchen einmal Sorgen. Spätestens
"beim ersten Mal". Aber: Wen dazu fragen? Ohne dabei rot werden
zu müssen?
Der "Wiener Jugend-Gesundheitsbericht 2002" weist dazu als häufigste
Informationsquelle unter Jugendlichen den eigenen Freundeskreis
aus (69%), weit abgeschlagen folgen die Mütter ( Mädchen 48%,
Burschen 22%), danach LehrerInnen (27%), Geschwister (20%), derzeitige/r
Freund/in (20%), und Väter (Mädchen 11%, Burschen 21%); die restliche
4% fragen niemanden.
Psychologen wissen daher, dass es für viele Jugendliche wichtig
ist, irgendwo anonym fragen zu können. Zu diesem Zweck wurde vor
einigen Jahren in der Wiener Rudolfstiftung die "First Love Ambulanz"
gegründet. Vier Psychologinnen, drei Ärzte, drei Ärztinnen und
drei Krankenschwestern sind für Jugendliche auch für Untersuchungen
da, Rezepte für die Antibabypille werden ausgestellt.
Das Wichtigste: "Alle, die in der First Love Ambulanz tätig sind,
unterliegen der Schweigepflicht", beruhigen die Mitarbeiter, dass
kein Elternteil vom Besuch in der Ambulanz jemals erfahren wird.
Eine zweite Anlaufstelle für Jugendliche, bei der nicht neugierig
gefragt wird, ist das "Ambulatorium zur Diagnose und Behandlung
sexuell übertragbarer Krankheiten" (STD-Ambulatorium) der MA 15.
Dort berät Diplomsozialarbeiterin Elisabeth Mayer immer wieder
junge Pärchen, die gern wüssten, ob Aids eine Gefahr sei, wenn
sie das erste Mal miteinander schliefen.
Allgemein könne ein relativ hoher Wissensstand über Aids, das
HI-Virus und die Ansteckungsgefahren bei Jugendlichen festgestellt
werden, analysiert Ingrid Kromer, Autorin des Wiener "Jugendgesundheitsberichts
2002". Gleichzeitig hat die Jugendforscherin aber auch herausgefunden,
dass "insbesondere die vierzehnjährigen Burschen weniger und teilweise
falsch im Vergleich zu den Mädchen über Empfängnisverhütung" aufgeklärt
sind.
Von den 14- bis 19jährigen halten sich selbst 58% für informiert
über Sexualität, wobei dies 63% der Burschen so sehen und 53%
der Mädchen. 34% halten sich für "ziemlich aufgeklärt", 6% für
"wenig aufgeklärt" und nur 2% für "nicht aufgeklärt".
Stress
Ein anderer Befund des Jugendgesundheitsberichtes ist: "Mädchen
fühlen sich weniger gesund, haben mehr Stress", so Ingrid Kromer
vom Österreichischen Institut für Jugendforschung. Immer mehr
Jugendliche leiden an Zivilisationskrankheiten. Angst und Stress
würden Burschen und Mädchen zunehmend belasten, da werde Alkohol
getrunken und Zigaretten geraucht.
Eine weitere Zivilisationserscheinung: Bereits mehr als 2000 Wiener
Jugendliche haben Essstörungen. Ein Drittel der jungen Frauen
sei untergewichtig, so Jugendforscherin Kromer, jeder achte Bursch
dagegen trägt zu viele Kilos auf den Rippen.
Alkohol
Ein nächster Befund zur Befindlichkeit klingt da nur wie eine
Ergänzung: Vier von zehn der 14- bis 24-Jährigen (Definition der
Altersgruppe der "Jugendlichen") treibe keinen Sport. Vor allem
bei den jungen Frauen sieht Kromer "aufgrund ihrer Sozialisation
weniger Zeit für Bewegung", Zeit würde eher für familiäre Verpflichtungen
aufgewendet. Die Studie, die auf Sekundärdaten vorhandener Analysen
diverser Gesundheitsorganisationen beruht, weist aus, dass "Alkoholmissbrauch
seit 1998 in allen Altersgruppen gesunken ist". Besonders erfreulich
sei dies bei den 15-Jährigen zu bemerken.
Einmal mehr sind damit aber unterschiedliche Zahlen zum Alkoholgenuss
im Umlauf. Allerdings hat z. B. kürzlich das Österreichische Jugendrotkreuz
vor mehr Trinkfreudigkeit bei 11-Jährigen gewarnt. Diese Zahlen
wurden vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung aber relativiert:
Der Beginn der Pubertät hätte sich nach vorn verschoben. Zudem
müsse man in Studien Mehrfachnennungen von Bier, Wein, Schnaps
berücksichtigen. Thesen, die man auch beim Jugendforschungsinstitut
teilt: "Alkohol ist keine Droge, die von Jugendlichen in großen
Mengen getrunken wird." Dennoch trachtet man in den Bundesländern,
die Gesetze für Alkoholkauf durch Jugendliche zu verschärfen und
zu harmonisieren.
Ob das auf das Trinkverhalten der Jugend wirkt, weiß niemand.
Die Wienstudie hat für ihre Jugend den geringsten Alkoholkonsum
im Bundesländervergleich erhoben. Im Burgenland und in Niederösterreich
werde mehr getrunken. Das läge auch an ländlichen Strukturen,
so Autorin Kromer: "Im Dorf ist der soziale Druck größer mitzutrinken."
Generell wird im Westen weniger Alkohol getrunken.
Die Konsequenz aus den Befunden der Jugendstudie lautet nun: Es
müsse mehr "zielgruppengerechte Vorsorge" geben, resümiert Hannes
Schmiedl, Leiter für Gesundheitsplanung in Wien. "Denn ein jugendlicher
Migrant hat andere Probleme als ein Berufsschüler".
Quellen: Der Standard, Wiener Jugendgesundheitsbericht 2002
Unser Kommentar: Eigentlich verwunderlich, dass jetzt erst ein Bericht dieser
Art vorlelegt wurde.... Eine möglichst genaue Erfassung des Ist-Zustandes
der gesundheitlichen Situation von Jugendlichen ist für zielgruppengenauen
Einsatz von Gesundheitsförderungsprojekten und präventiven Maßnahmen
natürlich unerlässlich. Zu begrüßen ist, dass auch das soziale
und psychische Wohlbefinden in der Studie Beachtung findet; wenn
auch letzteres nicht wirklich ausführlich. Eine systematische
Erfassung der psychischen Situation von Kindern und Jugendlichen
in Wien (und in ganz Österreich) steht aus; damit zusammenhängend
auch eine Sichtung der vorhandenen Angebote an psychotherapeutischer
Behandlung - und Überlegungen, ob die Angebote in der bestehenden
Form 1) ausreichend sind und 2) die Zielgruppe auch wirklich erreichen.
Links:
Sexualberatung First Love: www.firstlove.at
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen
Veröffentlichte Erregung?
Jugend und Alkohol
Jugendliche leiden unter beruflichen Ängsten und gesundheitlichen
Problemen
WHO-Studie: Schule macht Kinder krank
|