Lara Crofts Töchter
Lara Croft - eine computeranimierte Powerfrau mit Sexappeal, Hirn
und schlagkräftigen Ambitionen. Diese, sowohl von männlichen als
auch von weiblichen Computerspielern geliebte Cyberfrau stellt
eine der frühesten weiblichen Figuren in Computerspielen dar -
so beliebt, dass sie sogar zwei mal verfilmt wurde. Eine neue
Studie beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Computerspielen
und Aggression.
Die Aufmerksamkeit der Aggressionsforschung galt früher vor allem
dem männlichen Geschlecht. Es ist jedoch durchaus interessant,
den Focus der wissenschaftlichen Forschung einmal auf Mädchen
zu richten. Bedingt durch das Schulmassaker in Erfurt im April
2002, das mit dem intensiven Spielen des Actonspiels Counter Strike
in Verbindung gebracht wurde, gerieten Computerspiele in Kritik.
Eine öffentliche Besorgnis über deren Einfluss auf Kinder und
Jugendliche war die Folge.
Mittels Querschnittstudien (das sind einmalige Untersuchungen
einer großen Personenanzahl um eine "Momentaufnahme" der aktuellen
gesellschaftlichen Situation zu erhalten) und Metaanalysen ( dh.
alle Untersuchungen zu diesem Thema werden zusammengefasst und
man überprüft, ob sich ein gemeinsamer Effekt zeigt) wurden moderate
Zusammenhänge zwischen aggressiven Verhaltensweisen und Beschäftigung
mit Computerspielen gefunden. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen,
dass die intensive Beschäftigung mit Computerspielen das aggressive
Verhalten von Kindern fördere, ist so nicht zulässig, weil die
Richtung der Wirkung auf diese Art nicht feststellbar ist. Für
kausale Aussagen bedarf es an Längsschnittstudien. Das heißt,
dass man eine repräsentative Anzahl an Kindern und Jugendlichen
über einen längeren Zeitraum hindurch beobachtet und testet (meist
über Jahre). Tatsache ist, dass immer mehr Mädchen Computerspiele
spielen und die Frage nach der Aggression in Zusammenhang mit
Computerspielen das weibliche Geschlecht auch betrifft.
Weibliche Aggression versus männliche Aggression
Mädchen unterscheiden sich in ihrem Aggressionsverhalten von Jungen.
Bedingt durch unsere Kultur wachsen Mädchen mit den Anforderungen
auf, Konflikte untereinander nicht offen auszutragen, sondern
nett zu sein (oder zumindest so zu tun) und körperliche Aggression
als unpassend abzulehnen. Entsprechend diesen sozialen Erwartungen
lernen Mädchen, ihre Aggressionen zu verbergen oder indirekt auf
versteckte Art auszuleben. Diese sogenannte relationale Aggression
äußert sich dann in Strategien des Ausschließens, Manipulation
von Freundschaften und Gerüchte Verbreitens. Dieses aggressive
Verhalten der Mädchen entspricht im Verhältnis dem Aggressionsniveau
der Jungen. Die Mädchen stehen den Jungen also im aggressiven
Verhalten nichts nach. Bislang wurde relational aggressives Verhalten
in Studien zu (gewalthaltigen) Computerspielen und aggressiven
Verhaltensweisen kaum berücksichtigt, sondern das körperlich aggressive
Verhalten stand im Mittelpunkt. Umso mehr stellt sich hier die
Frage nach dem Aggressionsverhalten der Mädchen in Zusammenhang
mit dem Computerspielverhalten.
Was Mädchen spielen
In ihrer Dissertation, die Teil des Längsschnittprojektes KUHL
(Kinder CompUter Hobby Lernen) ist, untersuchte Caroline Oppl
(2006) unter anderem, welche Präferenzen Mädchen bei der Computerspielnutzung
aufweisen. Ihre Ergebnisse bezogen sich ausschließlich auf die
an der Studie teilnehmenden Mädchen (169). Gemessen wurde zu zwei
Zeitpunkten (Herbst 2002, Herbst 2003). Das Alter der Mädchen
lag zwischen 7 und 12 Jahren (zum zweiten Messzeitpunkt 8-13 Jahre).
Die Kinder wurden in sechs Berliner Schulen mittels Fragebogen
befragt. Zusätzlich wurden die Mädchen angehalten, Tagebuch über
ihre Freizeitaktivitäten und ihren Konsum von Fernsehen und Computerspielen
zu führen.
Das Ergebnis war, dass die beliebteste zusammengefasste Spielversion
die Reihe Mario (Super Mario) war. Beinahe jedes dritte Mädchen
hatte dieses Spiel genannt, gefolgt von Pokémon und Autorennen.
(Counter Strike wurde nicht genannt.)
Fast jedes zweite Mädchen nannte das Genre Jump´n Run (gewaltfrei).
Dies bestätigt, dass Mädchen allgemein weniger Interesse an Gewalt
und aggressiven Handlungen haben (Kafai, 1996). An zweiter Stelle
standen Sport- und Autorennenspiele (fast jedes 3. Mädchen) gefolgt
von Abenteuerspielen, Lernspielen, Actionspielen und Rollenspielen
. Bei Letzteren handelt es sich laut USK Datenbank um Spiele,
in denen eine (oder mehrere) virtuelle Spielfigur im Mittelpunkt
steht und vom Spieler gesteuert wird. Je nach Neigung wählt der
Spieler eine Spielfigur (jede hat andere Fähigkeiten). Bei bestandenen
Prüfungen werden die Fähgikeiten der Figur erweitert sie wird
mächtiger. Mädchen mögen Spiele die lustig sind, Rätsel enthalten
und Geschichten erzählen.
Der Griff zu gewalthaltigen Spielen
Als Indikator für gewalthaltige Spiele gelten sogenannte Egoshooterspiele.
Das sind Computerspiele, die aus der Ich-Perspektive (Ego) in
einer realitätsnahen Welt gespielt werden und bei denen eine Waffennutzung
zwingend ist (shooter) Ein weiteres Kriterium war die Altersfreigabe
von 16/18 Jahren. Am beliebtesten war hierbei das Computerspiel
Moorhuhn (Moorhuhn Version 2 und 3), sowie Motocross Madness,
Need for Speed, James Bond 007 und Star Wars. Beliebte Spiele
mit der Altersfreigabe ab 16/18 waren Tekken 3 (Sport) und Tekken
Tag Tournament (Action), Grand Theft Auto Vice City (Aktion) und
das Spiel Dino (Aktion). Hier zeigte sich jedoch, dass es in den
Genres Egoshooterspiel und Rollenspiele die meisten Fluktuationen
gibt. Das heißt, dass diese Spiele nicht konstant als Lieblingsspiele
angegeben wurden.
Computerspiel in Zusammenhang mit Aggression
Mädchen, die Rollenspiele bevorzugen, werden eher von anderen
als rational aggressiv eingestuft (Oppl, 2006). Sie fanden es
auch eher in Ordnung zurückzuschreien, wenn sie zum Beispiel angeschrieen
werden (leichte Provokation).
Mädchen, die Egoshooterspiele angaben, wurden von anderen als
vermehrt offen oder relational aggressiv eingestuft. Sie gaben
an, bei Ärger durchaus Verhaltensweisen wie Schubsen, Treten,
Hauen oder Schimpfen einzusetzten.
Auch wurde ein Zusammenhang zwischen der Dauer des Computerspielens
und der fremdeingeschätzten Aggressivität des Mädchens festgestellt.
Die neue aggressive Mädchengeneration?
Diese Ergebnisse müssen so verstanden werden, dass die Zusammenhänge
zwischen aggressivem Verhalten und Computerspielen bei Mädchen
moderat ausfallen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der femd-
und selbsteingeschätzten Aggression. Die zustande gekommenen Zusammenhänge
sind jedoch sehr wichtig für die weitere Erforschung von Aggressionsverhalten
bei Mädchen (auch) im Zusammenhang mit Computerspielen.
Gewalthaltige Spiele und psychologische Merkmale
Mädchen, die am liebsten Rollenspiele oder Egoshooterspiele spielen
gaben an, eher einen negativen Selbstwert (global) zu haben. Allerdings
empfinden Mädchen, die letzteres am liebsten spielen gleichzeitig
ein hohes schulisches Selbstwertgefühl (hohes Leistungsniveau).
Mädchen, die gerne Egoshooter spielen gaben an, sich selbst eher
als maskulin einzuschätzen. Sie werden auch eher von MitschülerInnen
abgelehnt. Auch hier spielt die Spieldauer eine wichtige Rolle.
Umso länger durchschnittlich gespielt wird, desto eher sieht sich
das Mädchen in einem maskulinen Geschlechterrollenselbstkonzept
und desto weniger empfindet es sich selbst als empathisch.
Aggressionen und psychologische Merkmale
Der Selbstwert (global) ist umso niedriger je höher die relationale
und offene Aggression ist. Was allerdings keinen Zusammenhang
aufwies, war die Empfindung einer eher maskulinen Geschlechterrolle
und aggressivem Verhalten.
Allerdings ergab sich ein negativer Zusammenhang zwischen offenem
aggressiven Verhalten und femininem Geschlechterollenstereotyp.
Also je weniger die Mädchen sich ein weibliches Geschlechterrollenselbstkonzept
zuschrieben, desto eher wurden sie als offen aggressiv eingestuft.
Zum Mitnehmen und Nachdenken
Was dieser kleine Ausschnitt an Ergebnissen aus Oppls Dissertation
nun deutlich aufzeigt ist, dass es von großer Wichtigkeit ist,
psychologische und persönliche Merkmale der untersuchten Personen
(Mädchen) mitzuerheben, denn der Zusammenhang zwischen Computerspielen
und aggressivem Verhalten ist äußerst komplex und bedarf kritischer
Betrachtung.
Quellen: Dissertation von Caroline Oppl, pressetext.at
Unser Kommentar: Die richtige Frage zu diesem Thema lautet eigentlich: "Werden
Kinder aggressiv aufgrund dementsprechender Computerspiele ODER
suchen sich aggressive Kinder bewusst gewalthaltige Spiele aus?!"
Was Caroline Oppl in ihrer Studie deutlich aufzeigen konnte war,
dass sich die Mädchen durchaus, der Theorie der Medienselektion
entsprechend, aktiv den Spielen zuwenden, die ihren momentanen
Bedürfnissen entsprechen. "Wir haben festgestellt, dass gewalttätige
Computerspiele die Kinder nicht aggressiver machen, sondern dass
aggressive Kinder zu gewalttätigen Computerspielen tendieren",
erklärt Caroline Oppl, im Gespräch mit Pressetext. Aber hinter
der Wahl von Computerspielen verbirgt sich eine Menge an Information
über die Mädchen. Ein Mädchen mit niedrigem Selbstwertgefühl greift
zu Rollenspielen. Flucht oder Übungsplatz? Mädchen die Spiele
spielen, in denen sie sich behaupten müssen mit Gewalt erscheinen
maskulin und werden sogar eher abgelehnt. Wer will schon eine
"schlagfertige" Frau/Freundin? Brav soll sie sein und stets nett,
dass sie im Hintergrund Intrigen spinnt und Gerüchte verbreitet
fällt anscheinend nicht so sehr ins Gewicht, ist es doch "typisch
Frau". Das ist aber eine schlechte Lösung des Problems. Umso wichtiger
ist es also, bereits den jungen Mädchen beizubringen, sich nicht
für ihre Gefühle zu schämen, auch nicht für solche wie Wut, Angst
oder Zorn. Der richtige Umgang damit kann erst gelernt werden,
wenn das Kind die Gefühle auch offen "erleben" kann und sie zu
verstehen lernt. Es ist die Aufgabe der Eltern und letztendlich
der Gesellschaft den Mädchen das Gefühl zu geben auch geliebt
und respektiert zu werden, wenn sie ihre "maskulin wilde" Seite
zeigen.
B. Oberwalder/Zentrum Rodaun
Links:
Dissertation von Caroline Oppl: http://www.diss.fu-berlin.de/2006/107/index.html
USK Datenbank (mit Angaben zur Altersfreigabe und Einteilung der
Computerspiele in Genres): www.zavatar.de
Literatur:
Wolfgang Bergmann, Gerald Hüther: Computersüchtig. Kinder im Sog
der modernen Medien. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Frauke Koher: Gewalt, Aggression und Weiblichkeit. Eine psychoanalytische
Auseinandersetzung unter Einbeziehung biographischer Interviews
mit gewalttätigen Mädchen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Stefan Gesmann: Friendly Fire im Kinderzimmer. Was Kinder und
Jugendliche an gewalthaltigen Computerspielen fasziniert: Motivation.
Konsequenzen. Perpektiven. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
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Eskapismus revisited
Suchende Screenager im medialen Universum
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