Wenn Zeichnen zur Therapie wird
Bilder von Flüchtlingskindern: Eindringlich, erschütternd und
heilsam für die Betroffenen
Oscar war ein Jahr alt, als der 2. Weltkrieg ausbrach. Weil er
aus einer jüdischen Familie stammte, mussten sie aus Polen fliehen.
In der Schweiz fanden sie Zuflucht, wie 50.000 andere Vertriebene
auch. Im Flüchtlingsheim Morgins wuchs Oscar die nächsten Jahre
zwar sicher auf, doch die Erinnerungen an die NS-Zeit ließen ihn
nicht los. Was sich auch auf sein Verhalten auswirkte.
Nicht sehr fleißiger Schüler, zeichnet aber gern schrieben die
Betreuer in das Stammblatt des Knaben. Also ließ man ihn malen.
Und Oscar malte. Seine Familie, Soldaten mit Pistolen in der Hand
und Flugzeuge, die Bomben abwerfen.
Der Bildband "KinderBilderWelten" zeigt Zeichnungen von 140 Flüchtlingskindern,
die diese in der Schweiz im Jahr 1945 von sich selbst, ihrer Familie
und ihrer Umwelt anfertigten. Entstanden sind Bilder, die eine
ganz eigene Geschichte von Kindheit, Krieg und Rettung erzählen.
Auf den ersten Blick sind die Zeichnungen dieses Buches wenig
auffällig. Sie sind mit dünnem Bleistift und schwachen Buntstiften
gemalt. "Silent sorrow", stille Traurigkeit, nennen Wissenschaftler
diesen Zustand der Seele, "der im Leben der meisten von Krieg
und Verfolgung geschädigten Menschen, vor allem der Kinder, vorherrscht",
erklärt Heinz Stefan Herzka, leitender Dozent für Psychopathologie
des Kindes- und Jugendalters an der Universität Zürich. "Viele
der Bilder sprechen die Sprache dieser stillen Traurigkeit."
Seelische Narben
Ob Holocaust oder Ruanda, Kambodscha oder Kosovo immer wieder
kam und kommt es in der Geschichte der Menschheit zu Massenverfolgungen
und Massenvernichtungen. Besonders den Kindern werden dabei seelische
Narben zugefügt, die ihr weiteres Leben prägen. Ihr Vertrauen
in die schützenden Möglichkeiten ihrer Eltern wird ebenso zerstört
wie ihr Vertrauen in den Menschen, der gerade noch ihr Nachbar
war und plötzlich ihr Leben bedroht.
Die Erfahrungen von Flucht, Elternverlust, von Mord und Folter,
von Exil und Heimatlosigkeit beeinflussen auch das spätere Verhalten
als Erwachsene und Eltern.
Therapie
Umso wichtiger ist es, diese Kinder nicht nur mit medizinischer
Hilfe und Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern auch mit psychologischer
Beratung. UNICEF, das Kinderhilfswerk der UNO, versucht Flüchtlingskindern
vor Ort zu helfen, durch Zeichnen, Basteln oder Singen ihre Emotionen
auszudrücken. Gerade unterdrückte Ängste und Sorgen oder unverarbeitete
Erlebnisse können später ernsthafte psychische Probleme verursachen.
Wenn Kinder zeichnen, geben sie einen Einblick in ihre Welt, in
ihre Gefühle und Erfahrungen. Das Malen kann ihnen helfen, traumatische
Erlebnisse zu verarbeiten: Den Tod von Angehörigen, den Alltag
in den Flüchtlingslagern, die Abwesenheit von Vater oder Mutter,
Gefühle von Angst, Trauer und Verlassenheit.
Den heilenden Prozess, den Zeichnungen oder Gedichte auslösen
können, hat schon die große Kindertherapeutin Anna Freud früh
erkannt. Dieser Methoden bediente man sich bei der Flüchtlingsbetreuung
im 2. Weltkrieg wie auch in Ruanda oder in Bosnien.
Vermutlich wird man sich dieser Therapie noch lange bedienen (müssen).
Unser Kommentar: Die Maltherapie heilt durch den Prozess selbst (bei Erwachsenen
kommt die Reflexion als wichtiges Element der Selbsterkenntnis
dazu). Das Unbewußte hat einen direkten Draht zur Bildersprache.
Und da das Unbewußte nach Homöostase (Gleichgewicht) strebt wird
es immer danach trachten, das Richtige - das Heilende - zu tun.
Auch wenn es nicht immer danach aussieht - z.B. ein quälender
Albtraum will dem Bewußtsein nichts anderes mitteilen, als dass
es ein ungelöstes Problem gibt, das beachtet und bearbeitet werden
muss. So ist es auch in der Maltherapie. Das Unbewußte wird durch
die Bildersprache das auszudrücken versuchen, was das innere Gleichgewicht
stört, um es sichtbar und so bearbeitbar zu machen - auch ohne
willentliche Beeinflussung des Bewußtseins. Eine Form des Bearbeitens
wäre etwa Folgebilder zu malen, die als Ziel den angestrebten
(ungestörten) Zustand wiedergeben. Allein durch diesen Prozess
der Darstellung am Papier entsteht auch ein Verwandlungsprozess
im Inneren.
Das Malen ist sicherlich ein geeignetes Hilfsmittel in der Psychotherapie.
Aber auch bei weniger traumatischen Problemen als bei den im obigen
Artikel dargestellten hilft es einen Ausgleich, eine Bearbeitung,
einen kreativen schöpferischen Akt, der auch viel Freude macht,
zu schaffen. Durch verschiedene Techniken, die vor dem Malen eingesetzt
werden können, so wie etwa Märchen, Fantasiereisen, Entspannungsübungen
oder Rituale, kann der Zugang zum Unbewußten erleichtert und beschleunigt
werden. Für die meisten Kinder ist Malen etwas Selbstverständliches,
sie setzen es spontan, instinktiv und mit Freude ein, was sehr
für diese Interventionsmöglichkeit oder Hilfestellung spricht,
egal unter welchen Problemen das Kind leidet.
E.Tiefenböck/Zentrum Rodaun
Mag. Eva Tiefenböck ist Psychologin und Mal- und Gestaltungstherapeutin.
Sie hält ab Herbst wieder Malgruppen für Kinder im "Zentrum Rodaun"
ab. Bei Interesse nehmen wir Ihre Anmeldung gerne entgegen.
Literatur zum Thema "Kinder und Malen als Therapie":
Andreas Renold: KinderBilderWelten. Zeichnungen von Flüchtlingskindern
1945. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Rotraud Erhard, Ernst Tatzer (Hg): Bilder Wunder Kinder - Botschaften
verletzter Seelen.
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unserem Beitrag
"Bilder sind Spiegel der Seele..."
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