Drohen mit und hoffen auf Schule
Die so genannte Peergroup-Education löse zunehmend andere, gescheiterte
Erziehungsmodelle ab. Der bekannte Kinder- und Jugendpsychiater
Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich betrachtet Verhaltensverein-barungen
an Schulen als pädagogischen Rückschritt.
Die Realität ist für Eltern und Lehrer ziemlich desillusionierend.
'In Wirklichkeit erziehen Jugendliche einander heute in einem
immer höheren Ausmaß gegenseitig', sagt Friedrich am Rande einer
Protestveranstaltung gegen die Verhaltensverein-barungen.
Kinder lernen in hohem Ausmaß durch das Fernsehen, also auch durch
Taxi Orange, wie man miteinander umgeht und wie man (nicht) miteinander
spricht. Wenn Eltern darüber verzweifeln, drohen sie manchmal
mit der Schule und hoffen gleichzeitig auf die Schule. Friedrich
verweist auf Sprüche wie 'Na wart nur, bis du in die Schule kommst
. . .' Er mag auch die verräterischen Floskel vom 'Ernst des Lebens'
nicht. Denn Lernen müsste Spaß machen, und das kann es auch -
unter den richtigen Bedingungen.
Arme Lehrer
Pädagogen wiederum fühlen sich überfordert, speziell, wenn sie
es mit einer pubertierenden Klientel zu tun haben. 'Aber wer selbst
überfordert ist, braucht Hilfe', sagt der Psychiater. Die könne
freilich nicht darin bestehen, bessere Strafmittel zur Verfügung
zu stellen.
Die Crux orten sowohl Friedrich als auch Vertreter des Vereins
Kinderstimme, der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie
des Kinderschutzzentrums darin, dass gerade AHS-Lehrer weniger
pädagogische Ausbildung genießen als die Kollegenschaft an den
Pflichtschulen. Außerdem hätte sich Schule viel zu wenig verändert.
Wenn beispielsweise der Biologieunterricht Universum-Sendungen
hinterherhinke, müsse er zwangsläufig Schüler fadisieren.
Spannenderes, selbstverantwortlicheres Arbeiten erfordere jedoch
eher kleinere Klassen.
Notwendige Hilfen wie schulpsychologische Beratung und Supervision
für Lehrer fielen Streichungen zum Opfer.
Partnerschaft
In den Erziehungsvereinbarungen sehen die Kritiker der genannten
drei Institutionen keine Partnerschaft, sondern eine Scheindemokratie.
Schüler seien ja keine Gleichen unter Gleichen, sondern werden
benotet und bestraft. Auch von moderner Mitarbeitermotivation,
wie die Bildungsministerin das nannte, könne nicht gesprochen
werden. Schüler haben keinen Arbeitsvertrag, ja nicht einmal eine
echte Arbeitszeitregelung, die einer 40- oder gar 37*-Stunden-Woche
entsprechen würde.
Natürlich rede niemand von Prügelstrafe usw., doch dürfe nicht
außer Acht gelassen werden, dass diese Diskussion vor dem Hintergrund
stattfinde, dass körperliche Züchtigung zwar seit mehr als zehn
Jahren in Österreich verboten, jedoch nach wie vor nicht durchgängig
verpönt sei. Ein Drittel der Eltern prügle ab und zu, fünf Prozent
sogar regelmäßig (und das zugegebenermaßen) ihre Kinder. Der Ruf
nach der 'strengeren Hand' könne so allzu leicht missinterpretiert
werden - als Legitimation der schlagenden Hand.
Privatgesetz
Der Universitätsprofessor sieht in den Erziehungsvereinbarungen
einen Zug weg vom Rechtsstaat hin zu Privatgesetzen für jede einzelne
Schule. Max Friedrich als Lobbyist für Kinder und Jugendliche:
'Die Erziehung in der Schule muss ein Angebot zur Beziehung sein.
Schule darf keine Disziplinierungsanstalt sein.'
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