"Second Life" Modedroge oder Forschungslabor?
Ein zweites Aussehen, eine zweite Persönlichkeit, ein zweites Leben: In der virtuellen 3D-Welt "Second Life" "können Sie praktisch alles erschaffen oder werden, was Sie sich vorstellen können", werben die Betreiber für das erfolgreiche Computerspiel auf deren Homepage. Ein solches Game sei ein "sehr mächtiges Tool" und berge folglich Suchtpotenzial, warnte der klinische Psychologe und Psychotherapeut Gerald Kral im APA-Gespräch.
Die Gefahr, in diesem zweiten Leben "hängen zu bleiben", sei gegeben.
Besonders gefährdet für ausufernde Marathonsitzungen vor dem PC
- wo aus zwei plötzlich acht Stunden werden - seien Menschen,
die ohnehin zu Suchtverhalten neigen, meinte Kral. Wer der Onlinewelt
verfällt, laufe Gefahr, seine Kontakte im wirklichen Leben zu
vernachlässigen und sich völlig zurückzuziehen. Besonders "anfällig"
seien Jugendliche, da sie sich während ihrer Identitätsentwicklung
in einer "sensiblen Phase" befinden würden. Verführerisch für
die jungen Spieler könne etwa sein, dass sie virtuell Dinge ausprobieren
können, die sie in der Realität nie tun würden.
Abkapseln
Dass "Second Life"-Spieler jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verlieren,
sei nur bei Personen möglich, die auch unabhängig von dem Spiel
einen Realitätsverlust entwickelt hätten, meinte der Wiener Psychologe.
Die virtuelle 3D-Welt könne ein solches krankhaftes Verhalten
nicht ursächlich bewirken, sehr wohl aber der Auslöser dafür sein.
Generell müsse man "Second Life" differenziert betrachten, denn
es besitze auch positives Potenzial. Menschen, die sich im wirklichen
Leben schwer tun, könnten mit dem Spiel trainieren, so der Jugend-Experte.
Wer etwa Probleme dabei hat, sich zu präsentieren, habe in seinem
zweiten Leben die Möglichkeit, virtuell für die Realität zu üben,
meinte Kral.
Second Life als "Forschungslabor"
Immer mehr Sozialwissenschaftler verlagern ihre Arbeit in virtuelle
Welten. Online-Rollenspiele wie Second Life http://secondlife.com
oder Everquest eignen sich offenbar bestens, um soziales Verhalten
von Menschen zu untersuchen. So hat zum Beispiel der Wissenschaftler
Nick Yee von der Stanfort University zwischenmenschliche Kommunikation
in Second Life genauer unter die Lupe genommen und herausgefunden,
dass sich die virtuellen Avatare in der künstlichen Umgebung nach
denselben Grundmustern verhalten wie ihre Urheber in der realen
Welt. Der Ökonom Edward Castronova forschte in Everquest, weil
er ergründen wollte, wo und unter welchen Bedingungen sich Marktplätze
bilden.
Second Life als Flucht vorm realen Leben?
In einer internationalen Umfrage unter Leitung von Prof. Manfred
Kirchgeorg und Kathrin Jung haben Studenten der Handelshochschule
Leipzig 90 Avatare in der Second Life-Welt interviewt. Dabei wollten
die Forscher erfahren, warum Menschen ins Second Life gehen. Wollen
sie aus der realen Welt flüchten? Personen aus 20 unterschiedlichen
Ländern nahmen an der Umfrage teil. Die meisten Nutzer kamen aus
Deutschland und den USA, gefolgt von Spanien und Frankreich.
Motivation der Second Life-Nutzer
Auch die Motivationen, sich in einem Second Life zu bewegen, scheint
zweigeteilt. Ein großer Teil entflieht wirklich gerne dem realen
Leben. Andere geben an, einfach gern mit Leuten zu kommunizieren
und fanden, dass Second Life spannende neue Funktionalitäten bietet.
Ein kleiner Teil hat offensichtlich auch die Intention, in der
virtuellen Welt erfolgreich Geld zu verdienen. Quellen: APA, pressetxt.at
Unser Kommentar: Warum überhaupt ein richtiges Leben im Zweiten? Das Faszinierende
an virtuellen Welten sind vermutlich die vielfältigen und unbegrenzten
Möglichkeiten, wie ich mich als Person dort präsentieren kann.
So gestalten die User eine Repräsentanz eines Teiles der eigenen
Persönlichkeit nach eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen.
So weit ist das kreative Potenzial nicht zu unterschätzen, das
sich durch die Teilnahme an virtuellen Gemeinschaften wie Second
Life für jeden Einzelnen eröffnet. Ich präsentiere einen Teil
meiner Persönlichkeit in einer anderen Welt und kann den Grad
der Präsentation aktiv beeinflussen. Ich kann Regie führen und
die "Bühne Internet" mit einer eigenen Inszenierung gestalten
(und auf Applaus hoffen).
Stefan Kühne/e-beratungsjournal.net
Literaturtipp:
Sherry Turkle: Leben im Netz. Bestellmöglichkeit bei amazon.at! Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen "Anmerkungen zur Internet-Generation" "Suchende Screenager im medialen Universum"
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