Nachlesen-Logo


Starmania: Kiddy Contest Remixed?


Game over, the winner is: Nadine. Alles paletti, Glanz, Gloria, Ruhm und Reichtum sind vorprogrammiert ­ oder? Wie sich gezeigt hat, ist der Glanz von Casting"stars" zumeist vergänglich, nur wenige können durchstarten. Welche Auswirkungen hat das auf die Entwicklung der mitten im Teenageralter stehenden Beteiligten?


Weinende und kreischende Fans, die mit Spruchbändern und Fan-T-Shirts ausgestattet ein Autogramm oder Handyfoto erhaschen wollen: Was nach dem Alltag von Robby Williams klingt, ist auch für die österreichischen "Starmania"-Kandidaten bereits Realität geworden. Vor allem für die Teenager unter den ORF-Sternchen birgt diese Glitzerwelt allerdings auch Gefahren, warnt der Wiener Jugend-Psychotherapeut Gerald Kral. In einem Alter, in dem die Kritikfähigkeit noch nicht so ausgeprägt ist, könnten die Jugendlichen schnell die Relationen verlieren. Das führe zu einer verzerrten Identitätsentwicklung und einer unrealistischen Selbstwahrnehmung.

Drei der fünf verbliebenen Popstar-Anwärter sind noch Teenager. Nadine ist mit ihren 16 Jahren das Küken, gefolgt vom 17-jährigen Tom und dem 18 Jahre alten Mario. Martin, der am vergangenen Freitag ausgeschieden ist, ist gerade 17.

Teil einer Inszenierung

"Das ist eine sehr wichtige Entwicklungsphase, in der die Jugendlichen damit beschäftigt sind, ihren eigenen Stellenwert in der Gesellschaft zu finden", so Kral. Wenn hier wie etwa in der Castingshow "Starmania" "Ereignisse stattfinden, die das Selbstwertgefühl auf unrealistische Art und Weise extrem überhöhen, kann eine Verzerrung in der Identitätsentwicklung stattfinden, die im Endeffekt zu einer unrealistischen Selbstwahrnehmung führt".

Vor allem die plötzliche Aufmerksamkeit der Fans und der Hype um ihre Person könne für die Kandidaten zur psychologischen Belastung werden. Bei plötzlichen Liebeserklärungen oder ungewohnter Aufmerksamkeit seitens des anderen Geschlechts bestehe etwa die Gefahr, dass die Jugendlichen das für bare Münze nehmen und glauben, dass tatsächlich sie selbst gemeint sind. "In Wahrheit ist das die logische Folge der Inszenierung rund um die Casting-Show. Die Kandidaten sind lediglich ein Teil dieser Inszenierung", so Kral. Die Jugendlichen dürften sich jedenfalls nicht von der allgemeinen Hysterie davontragen lassen, sondern bräuchten eine "neutrale Bühne" mit Menschen, die ihnen beratend beistehen, mahnt der Psychologe.

Versinken in Bedeutungslosigkeit

Genau so problematisch wie das künstliche Aufputschen des Selbstwertgefühls während der Show sei die Zeit danach, wenn die Kurzzeitstars wieder in der Versenkung der Bedeutungslosigkeit verschwänden - ein Schicksal, das beinahe allen ihren Vorgängern zu Teil wurde. Auch dann sei psychologische beziehungsweise professionelle Begleitung zur kritischen Reflexion des Geschehenen unerlässlich, fordert der Jugendpsychologe.

Der gleichen Meinung ist auch die Wiener Psychologin Sonja Kinigadner, die betont, dass die "Jugendlichen trotz aller Coolness nicht die Fähigkeit haben, die Konsequenzen des Glücks oder Unglücks, das sie erwartet, voraussehen zu können." Sie würden nicht über die psychische Breite verfügen, um das zu begreifen. "Da muss man als Erwachsener beistehen."

Nach ORF-Angaben steht den Kandidaten während der "Starmania"-Zeit eine Psychologin als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Ob die Jugendlichen das Angebot wahrnehmen, bleibt allerdings ihnen selbst überlassen. Für jene Kandidaten, die nicht als Sieger aus der Show hervorgehen, hat der neue ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz bereits Hilfe in Aussicht gestellt: Künftig sollen unter Mitwirkung aller ORF-Formate auch die Talente gefördert werden, die nicht auf dem ersten Platz landen.

"In der Musikbranche sind sie wie Wölfe "

Verena Pötzl, Siegerin der zweiten "Starmania"-Staffel, ist aus dem Zirkus wieder ausgestiegen ­ danach fühlte sie sich " so frei wie überhaupt noch nie. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich da nicht hineinpasse, es war mir dann auch zu blöd". Im Gespräch mit der Tageszeitung "Der Standard" meint sie weiter: " Gewisse Leute sagten mir durch die Blume: Wir haben schon die Stürmer. Die Luft ist sehr dünn da oben, und ich war schon zu viel. Außerdem meinten sie, ich sei mit damals 24 zu alt. Der Markt ist für 10- bis 16-Jährige. Ich war zu erwachsen."

Eine andere Aussage von Pötzl scheint die Berechtigung der obigen Hinweise zu untermauern: Auf die Frage, wie sie den Ausstieg verkraftet habe, meint sie: "Es war nicht leicht. Ich entdeckte zuletzt Ähnlichkeiten mit Natascha Kampusch. Sie kriegt viel Aufmerksamkeit zur Zeit, so wie ich damals. Aber die Leute denken nicht daran, was passiert, wenn du die nicht mehr kriegst. Das ist furchtbar...in der Musikbranche sind sie wie Wölfe, wenn du keinen Erfolg hast."

Was ist aus den anderen Trägern der ­ zumeist eigenen ­ Hoffnungen geworden? Kaum jemals etwas ­ Christine Stürmer ausgenommen. So schnell können sie dann gar nicht schauen, sind Platten- und Werbeverträge gekündigt. Die Schmach des Scheiterns müssen sie später alleine tragen. Für die TV-Sender lohnt sich der Aufwand jedoch. Sie freuen sich trotz sinkender Quoten und Marktanteile unter den zahlreichen begeisterungsfähigen Teenagern, deren kaufkräftige Eltern für Zubehör wie Taschen, T-Shirts und Computerspiele gerne ins Geldbörsel greifen. Den Plattenfirmen verhelfen die "Superstars" ebenfalls zu erklecklichen Mehreinnahmen, und vor jeder neuen Castingshow stehen die hoffnungsfrohen Talente Schlange und begeben sich freiwillig in ein neues, oft von Knebelverträgen geprägtes Leben.

Archaische Rituale im digitalen Gewand

"Starmania" und verwandte Formate in anderen Ländern sind auch bereits mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Anna Casapicola untersuchte das Phänomen unter soziologischen, philosophischen und kulturwissenschaftlichen Aspekten. Ihre These ist, dass bei Medienereignissen mit derartigen Konzepten zunehmend eine Stammeskulturen nachempfundene Erlebniskultur mit Elementen einer sich vom Elitären zum Allgegenwärtigen verändernden Popkultur vermischt wird. Sängerwettstreite als archaisches Ritual: "Starmania ist wie ein "Puzzle". Als "Eckpfeiler" dienen archaische Verhaltensmuster und Entscheidungskriterien. "Schaukämpfe" werden nach dem Vorbild "antiker Arenen" wiederbelebt und mit neuen dramaturgischen Ingredienzien, die sich unter anderem auch aus einem halben Jahrhundert sich stets erneuernder und verändernder Kommunikationsstrukturen und Kommunikationswege ergeben, zu einem komplexen Zusammenspiel vermischt." (Casapicola)

Als eines der Rituale sieht sie dabei die Vergabe des "Friendship-Tickets": " In seiner effektvoll dargebotenen Dramaturgie entwickelte sich dieser Regiepunkt im Gesamtkonzept von Starmania zum zwar modern interpretierten, aber in Wahrheit archaischen Ritual. Einem durch Diskussionen um das Friendship-Ticket vorausgegangen rituellen Spiel um modernes soziales Gruppenverhalten folgte die Vorführung eines demokratischen Prozesses mit dem harmlos anmutenden Ergebnis, dass zwar keiner für das Ergebnis direkt verantwortlich ist, aber dennoch einer der Kandidaten bzw. eine der Kandidatinnen gehen muss. Dies kommt in archaischem Sinne einer Verstoßung gleich. Diese Bedeutungszusammenhänge enthalten wiederum ausreichend emotionale Sprengkraft, um jenen interessanten Kick auszulösen, der zur Erregung kollektiver Aufmerksamkeit vonnöten ist." (Casapicola) Auch das Publikum bekommt seine Rolle: "Das Beispiel Starmania zeigt, dass Casting-Shows als neue Form des Erlebens weitgehend auf Authentizität verzichten. Das Gefühl einer beim Lagerfeuer real erlebten Lagerzugehörigkeit bleibt allerdings in Form der Scheinrealität einer gemeinsam erlebten, vorgegaukelten Interaktivität erhalten. Das Handy wird zum Revolver der Neuzeit, man kann auf jemanden schießen oder für jemanden sein" (Casapicola) Auch die Ergebnisröhren haben ihren Platz in der Inszenierung ­ sie sind die Hinrichtungsinstrumente.

Casapicolas Resüme ist ernüchternd für diejenigen, die der Verpackungaufschrift aufgesessen sind: "Musik spielte jedenfalls bei diesem als Castingshow für Gesangstalente definierten crossmedialen Ereignis eine eher untergeordnete Rolle." Verena Pötzl ist nach Durchleben des Rituals erstaunlich nahe bei der Wisssenschafterin: "Ich konnte viel über Musik und Branche lernen und weiß jetzt, dass das zwei Paar Schuhe sind. Ich weiß jetzt genau, was ich nicht will."

Quelle: APA, Die Presse, Der Standard, Dissertation Anna Casapicola


Unser Kommentar: Nadine also. Mittlerweile ist auch Ihre erste Single erschienen (und prompt bei der Kritik durchgefallen), und ich wette, niemand hätte sie auf Grund ihrer musikalischen Qualität weiter erwähnenswert gefunden. Der ORF ist allerdings gerade dabei, die bereits ausgequetschten Teebeutel neu aufzugießen, 18mal: "Starmania on Tour" rollt auf uns zu. Richtig nett dabei: der Kinderbereich, eigens reserviert für Besucher unter 120 cm Körpergröße ­ das entspricht nach aktuellen Tabellen durchschnittlich einem Lebensalter zwischen 6 und 7 Jahren! Spätestens hier muss man sich die Frage stellen: auf welche Zielgruppe fokussieren Formate wie Starmania eigentlich? - und der vielleicht zunächst als böse empfundene Titel dieses Artikels ist rehabilitiert. Wie heißt es oben? " Für die TV-Sender lohnt sich der Aufwand" ­ das wohl, und noch dazu in einem untransparenten Umfeld ­ oder wurden die Verträge, die da mit Jugendlichen gemacht werden, je offen gelegt? Teenager als "Stars", Kinder als Kunden ­ hervorragendes Rahmenprogramm für viel, oft auch nach Meinung des Werberates zu viel Werbung ­ alles happy, und der Gewinner ist die Fernsehanstalt.

G. Kral/Zentrum Rodaun

 

Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unserem Beitrag Fans und die Stars

 

Literaturtipp: Amélie Nothomb: Reality Show. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

 

Weblink: Hyperexhibitionismus und Hyperangepasstheit (Artikel im Online-Magazin telepolis)

 


Zentrum Rodaun, 1230 Wien, Kaltenleutgebnerstraße 13A / 23
Tel: 01/8892572, 01/8891021 e-mail: team@zentrum-rodaun.at