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Erziehung im Cyberzeitalter

Eine Professorin des MIT betrachtet das Netzleben von Kindern
von Margaret Goldsborough

 

Es gibt nur noch wenige Wohngebiete, wo sich Kinder nach der Schule zu einem Fußballspiel treffen können - Eltern sollten dies als Realität annehmen und sich bewusst sein, daß die Netzwelt durchaus ein Segen für heutige Schlüsselkinder sein kann.

Das ist zumindest die Meinung von Sherry Turkle, eine Professorin der Sozial- und der Naturwissenschaften am M.I.T., die sich selbst auch gerne "Cyberanalytikerin" nennt.

Turkle, die in Harvard in Psychologie und Soziologie promovierte, meint "daß es Eltern bewusst sein muß, daß ohne das Netz viele Kinder alleine zu Hause herumsitzen würden. Netzgemeinschaften bieten weiten, neuen und aufregenden Raum den es auf der Straße nicht mehr gibt: Raum zur Selbstfindung, um Identitäten auszuprobieren, Gefühle auszuleben, um fröhlich, traurig oder auch verrückt zu sein - dies alles in einer relativ geschützten Umgebung. Das ist die Aufgabe der Adoleszenz.

Trurkle publizierte ausführlich über die umgreifende digitale Technologie und ihren Einfluß auf die menschliche Psyche. Ihr 1995 erschienenes Buch "Life on the screen: Identity in
the Age of the Internet" (deutsch: Leben im Netz - Identität in Zeiten des Internet) legt dar, wie Menschen aller Altersgruppen das Netz als Möglichkeit verwenden, mehr über sich selbst zu erfahren. Sie meint, daß Computer eine neue Selbsteinschätzung unserer Identität bedingen. Anders als Forscher, die die Zerissenheit und Sprunghaftigkeit des Internetlebens kritisieren, hält Turkle die Veränderlichkeit einer Online- Identität durchaus für gesund.

Sie argumentiert, daß für frühere Generationen die Collegezeit Platz für Experimente und persönliche Entwicklung bot - Das ist nun nicht mehr der Fall, da sich Jugendliche immer früher entwickeln, Universitäten höhere Professionalität von Ihren Studenten erwarten und sexuelle Eskapaden immer risikoreicher werden.

Zusätzlich zur Anerkennung des Wertes von Netzgemeinschaften, schlägt Turkle gleichzeitig auch vor, daß Eltern die "dunkle Seite" des Internet als Anstoß nehmen, um (vielleicht) schwierige, jedoch auch notwendige Gespräche mit ihren Kindern zu führen - über Sexualität zum Beispiel. Pornographie ist im Netz allgegenwärtig, auch für 10jährige. Warum sollte man dies nicht als Anstoß für eine Diskussion über persönliche Werte nehmen, fragt Turkle.

Das Internet bietet sich auch als Ausgangspunkt für Gespräche über Diskriminierung oder Schimpftiraden an - Beim Suchen nach Informationen über den zweiten Weltkrieg ist es wahrscheinlich, auch auf Neonazi-Seiten zu stossen - eine Möglichkeit, Kinder dazu anzuhalten, die Qualität verschiedener Informationsquellen gegeneinander abzuwägen.

Dieses Vermögen ist ein Teilaspekt der "Computerkundigkeit", sagt Turkle.

Während es früher in den Schulen als wichtig erachtet wurde, daß Schüler über Hard- und Software Bescheid Wissen, ist es nun wichtiger, den Computer wie ein Werkzeug zu verwenden und nicht mehr zu wissen, wie er genau funktioniert.

Diese Veränderung stellt ein Problem für sie dar. Wir leben in einer Welt, in der ökonomische Probleme und politische Entscheidungen immer stärker auf Simulationen basieren, und mündige Bürger müssen das Prinzip einer Simulation verstehen. Wörtlich meint sie: "Es ist meine Überzeugung daß der Sinn der virtuellen Welt darin besteht, sowohl poltisch als auch psychologisch das Gute zu verstärken, das wir in der realen Welt tun können."

© New York Times; Übersetzung: Florian Kral

 

Unser Kommentar: Sherry Turkle ist eine der profundesten Erforscherinnen der Psychologie des Internet. "Leben im Netz" ist ein absolut zu empfehlendes Standardwerk auf diesem Sektor, das sowohl für Fachleute als auch für den interessierten Laien lesenswert ist. An dieser Stelle hervorheben möchte ich Turkles absolut zu unterstreichenden Gedanken der Möglichkeiten des "Probehandelns" und der Identitätssuche, die wichtige Leistungen der Entwicklungsphase der Adolszenz sind und schon von dem Psychoanalytiker Erikson als solche beschrieben worden sind. Diesen Gedanken arbeitete Turkle auch im Rahmen eines Vortrages in der Wiener Hofburg im November des Vorjahres heraus (Videomitschnitt auf Anfrage). Das Internet bietet eine neue, wesentlich umfangreichere und spannende Dimension dafür.

G. Kral/Zentrum Rodaun

 

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Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in den Beiträgen "Machen Computer Kinder schlau?", "Suchende Screenager im medialen Universum" und generell in der Archivkategorie "Kinder und Jugendliche und Neue Medien"

Seminarvorankündigung: "Sex, Lies, and Cyberspace - psychologische Aspekte des Internet".








 

 


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