Liebe und Geborgenheit stärken die Abwehrkraft von Simone Georgieva
Liebe und Zuwendung sind die Grundbausteine für eine gesunde psychische und körperliche Entwicklung. Schwierige frühkindliche Erfahrungen beeinträchtigen die Entwicklung nachhaltig und wirken sich nachteilig auf die Immunabwehr aus. Selbst wenn Betroffene später unter entwicklungsfreundlicheren Bedingungen aufwachsen, bleiben entstandene Defizite bestehen.
Ungefähr seit den 80ern beschäftigt sich das Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie mit der Interaktion zwischen psychischen Faktoren, dem Nervensystem und dem Immunsystem. Man weiß, dass Stress die Abwehrkräfte gegenüber Infektionskrankheiten schwächt und eine frühe Stressexposition ungünstige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung hat. Kinder, die negative Erfahrungen machen, reagieren später verstärkt auf Stressoren. Eine aktuelle US- Studie unter der Leitung von Elizabeth Shirtcliff von der University of New Orleans setzte sich mit den Auswirkungen von problematischen Kindheitserlebnissen auf das Immunsystem auseinander. Die Forscher untersuchten die Konzentration von Antikörpern gegen den Herpes Virus (HSV-1) bei Kindern mit unterschiedlichen, traumatischen Erlebnissen. Die Studie wurde kürzlich in der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht.Wachsen und Gedeihen Für eine optimale Entwicklung benötigen Kinder eine liebevolle Umgebung, in der sie Zuwendung und Geborgenheit erfahren. Sie brauchen Bezugspersonen, die auf ihre Bedürfnisse eingehen können und ihnen das Gefühl vermitteln, geliebt und gewollt zu sein. Fehlen die genannten „Zutaten“ an elterlicher Fürsorge, so können Defizite entstehen, die möglicherweise zu lebenslangen Begleitern werden. Viele klassische Untersuchungen im letzten Jahrhundert haben gezeigt, wie essentiell eine entwicklungsfördernde Umgebung ist und wie sehr vor allem frühkindliche negative Erfahrungen die emotionale, soziale und kognitive Gesundheit gefährden. Trotz des gewachsenen Bewusstseins um die möglichen Spätfolgen von negativen Kindheitserfahrungen sind die Fälle von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung erschreckend hoch. Alleine in den USA werden jährlich etwa 1,5 Millionen Kinder zum Opfer, ganz zu schweigen von der Dunkelziffer. Neben seelischen Narben kann sich ein unzureichender Erziehungsstil auch auf körperlicher Ebene niederschlagen. Es gibt einige Studien, die belegen, dass mehr oder weniger intakte Familienverhältnisse Einfluss auf die Funktion des Immunsystems und die Entstehung von Atemwegserkrankungen nehmen. Man weiß auch, dass Kinder mit Missbrauchserfahrungen verstärkt zu chronischen Schmerzen, Magendarmerkrankungen und entzündlichen Beschwerden neigen. Generell ist die Befundlage noch ausbaufähig, was US-Forscher dazu veranlasste, die Thematik zu vertiefen. Herpes Simplex Virus Typ 1 Elizabeth A. Shirtcliff und ihre KollegInnen Christopher L. Coe und Seth D. Pollak untersuchten die Auswirkungen von frühkindlichem Stress auf das Immunsystem. Im Speziellen wurde die Immunreaktion auf den Herpes Simplex Virus Typ 1 (HSV-1) erforscht. Der HSV-1 ist ein Erreger mit dem die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens Kontakt haben. Die Übertragung erfolgt über Speichelkontakt und Schmierinfektion und so „erwerben“ häufig bereits Säuglinge und Kinder den Virus durch das familiäre Umfeld. 20 Prozent der Kinder und mehr als 60 Prozent der Erwachsenen tragen den HSV-1 in sich. Nach der Erstinfektion verbleibt der Virus im latenten Ruhezustand lebenslang im Körper. Bei einer gesunden Immunfunktion wird der Virus für gewöhnlich vom Körper unter Kontrolle gehalten. Lediglich bei Stress, oder einer geschwächten Immunabwehr kann die Aktivität des HSV-1 nicht weiterhin zurückgehalten werden, was typischerweise zum Auftreten von Fieberblasen führt. Der Körper reagiert, indem er verstärkt Antikörper produziert. Die aktuelle Studie zog die Konzentration von Antikörpern als Indikator für die Immunreaktion heran. Man untersuchte, ob bei Jugendlichen, die unter ungünstigen Bedingungen aufgewachsen sind, Veränderungen in der Immunregulation festzustellen sind und ihre HSV-1-Antikörperkonzentration erhöht ist. "Wohlbehütete" versus "problematische" Kindheit Es wurden einander Gruppen mit unterschiedlich problematischen Geschichten gegenübergestellt. Die erste Gruppe mit 41 Teilnehmern hatte einige Zeit in rumänischen, russischen, oder chinesischen Waisenhäusern verbracht, bevor sie von US-Familien adoptiert wurden und den Rest ihrer Kindheit in einer entwicklungsfreundlicheren Umgebung verbringen konnten. Im Schnitt hatten die Jugendlichen 2,8 Jahre (Streubereich von 0,5 bis 7 Jahre) in Heimen und zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 3,5 und 13 Jahren in ihren Adoptivfamilien verbracht. Die zweite Gruppe bestand aus 34 Personen. Sie waren als Kinder von ihren Familien misshandelt oder vernachlässigt worden. Nach Interventionen seitens der Behörden blieben die Kinder in ihren Ursprungsfamilien und lebten unter den schwierigen Verhältnissen weiter. Eine dritte Vergleichsgruppe von 80 Jugendlichen war wohlbehütet und unter „normalen“ familiären Bedingungen aufgewachsen. Insgesamt umfasste die Stichprobe 80 männliche und 75 weibliche Personen im Alter von 9 bis 14 Jahren. Enthüllungen Um die Immunreaktionen der drei Gruppen zu vergleichen, wurde die HSV-1-Antikörperkonzentration anhand von Speichelproben gemessen. Normalerweise verwendet man Blutproben, dies hätte aber möglicherweise zusätzlich Stress für die Teilnehmer bedeutet und die Testergebnisse verfälschen können. Sechsmal täglich an zwei Schultagen und an zwei Wochenendtagen zuhause, wurden die Proben entnommen und so lange im Kühlfach aufbewahrt, bis alle 24 beisammen waren und von den Forschern abgeholt werden konnten. Die Prävalenzrate mit HSV-1 war in allen drei Gruppen ähnlich. Es gab also keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Gruppen überhaupt HSV positiv zu sein. Es wurden auch diverse andere Variablen erhoben, die möglicherweise auch für eine Erhöhung der Antikörper verantwortlich sein hätten können, wie Alter, Geschlecht, Ursprungsland, Einkommen, Bildungsgrad der Eltern, BMI, Gesundheitsstatus, aktuelles Stresslevel. Keiner dieser Faktoren stand in direktem Zusammenhang mit dem HSV-Level. Was aber mit der Konzentration in Zusammenhang stand, waren die frühkindlichen Umstände, unter denen die Jugendlichen aufgewachsen waren. Der HSV- Antikörperspiegel war bei beiden Gruppen, sowohl bei den ehemaligen Heiminsassen als auch bei körperlich misshandelten Teilnehmern höher, als bei den Kontrollprobanden. Dieses Ergebnis stand im Einklang mit den Erwartungen der Forscher. Überraschend war hingegen die Tatsache, dass die Werte bei den „Heimkindern“ sogar etwas höher waren, als bei der körperlich misshandelten Gruppe. „Die Kinder mussten ihr Leben unter ungünstigen Bedingungen beginnen, nun sind sie herangewachsen und haben teilweise über ein Jahrzehnt in einer beständigen und liebevollen Umgebung verbracht. Dennoch ist ihr Immunsystem angeschlagen und beeinträchtigt. Letztlich unterscheidet sie nichts von den körperlich misshandelten Kindern“, so Pollak. Die erhöhte Antikörperkornzentration bei den beiden vorbelasteten Gruppen lässt vermuten, dass das Immunsystem der Jugendlichen kontinuierlich versucht, den Virus davon abzuhalten, vom Ruhezustand in ein aktives Stadium überzugehen. Das Immunsystem agiert faktisch so, als ob die Jugendlichen noch immer kontinuierlich unter Stress stünden. Die veränderte Immunreaktion resultiert also nicht aus derzeitigen, sondern aus frühen problematischen Erfahrungen. Tabula rasa? Zum Zeitpunkt der Geburt ist das Immunsystem noch nicht vorgefertigt. Die Zellen sind zwar bereits vorhanden, aber wie sie sich letztlich entwickeln und auf diverse Einflüsse reagieren wird stark vom Umfeld und frühen Kindheitserlebnissen beeinflusst. Macht ein Kind schon zu Beginn seines Lebens belastende Erfahrungen, so reagiert das Immunsystem entsprechend auf die Situation. Diese erlernte Reaktion bleibt schließlich bestehen und der Betroffene wird im Laufe seines Lebens bereits auf kleinere Stressoren übermäßig stark reagieren. Die Ergebnisse der aktuellen Studie unterstreichen noch einmal, wie grundlegend und prägend frühe Erfahrungen, sowohl für die psychische als auch körperliche Gesundheit eines Menschen sind. Frühe Defizite in der Fürsorge und Liebe bringen langfristige, vermutlich lebenslange Beeinträchtigungen mit sich, die nur schwer zu reparieren sind. Quelle: Biopsychologie (Pinel), PNAS Early Edition Unser Kommentar: „Das Leben hält für jeden Unterschiedliches bereit“... Der eine kommt unter Bedingungen zur Welt, die ihm ein gutes Fundament für eine gesunde Entwicklung bieten. Er erfährt Zuneigung, Wärme und Wertschätzung, als essentielle Grundbausteine einer gelungenen Entwicklung. Ihm wird vermittelt, dass er liebenswürdig ist und er wird vermutlich ein positives Selbstbild aufbauen können. Der andere wird von vornherein unter ungünstigen Umständen geboren... Die Basis für die weitere Entwicklung wird bereits im Mutterleib gelegt. Schon pränatal verspürt ein Kind die Einstellung und Gefühle der Mutter gegenüber dem Ungeborenen. Kinder die unerwünscht sind, oder früh in Heime kommen, machen zumeist nicht die positive Erfahrung auf dieser Welt willkommen geheißen zu werden. Vernachlässigte oder misshandelte Kinder können nur bedingt erlernen, dass sie es wert sind geliebt zu werden. Wichtig ist aber zu wissen, dass all diese Faktoren nicht in ein unausweichliches Schicksal münden. Letztlich ist der entscheidende Punkt jener, dass korrektive Erfahrungen sehr wohl möglich sind. Das Wissen um die Auswirkungen von negativen Erfahrungen in den ersten Lebensjahren kann für Angehörige und Betroffene hilfreich sein, um besondere Bedürfnisse und frühe Defizite zu berücksichtigen und zumindest teilweise auszugleichen. Befunde wie die oben beschriebenen können dann im optimalen Fall so etwas wie „alte Narben“ sein, die einen an früher Erlebtes erinnern, aber nicht mehr schmerzen.
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Was kränkt, macht krank: Psychische Gewalt am Kind Traumata in Kindheit hinterlassen "Narben" im Gehirn
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