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Die Zukunft des Lernens

Ein Bericht über ein Symposion in Hamburg am 8. und 9. Dezember 2003, veranstaltet vom LEGO Learning Institute

von Brigitte Sindelar

 

Die Ehe zwischen Spielen und Lernen ist die glücklichste Verbindung, die es gibt. Sie wird bei der Geburt eines Kindes geschlossen, sie gedeiht besonders in einem harmonischen Umfeld und stabilisiert sich durch unermüdlichen Forschergeist. Die Spuren ihres Gelingens prägen sich molekularbiologisch nachweisbar im menschlichen Gehirn ein. Gefühlvoll und lustvoll Erforschtes bereichert kreatives Wissen. Computer und Internet sind genau so wenig gefährlich für die Kinder von heute wie es Bücher für die Kinder von gestern waren, auch wenn heute wie damals die Erwachsenen es befürchten. Spielende Kinder machen sich jedwedes Medium zu Nutzen, solange die Ehe von Spielen und Lernen besteht. Bedroht wird diese erfüllende Ehe allerdings von außen: Lehren scheidet dieses glückliche Paar, macht aus den Partnern Lernen und Spielen die Konkurrenten Ernst und Spaß, deren Rosenkrieg dann von denjenigen, die zuerst die Scheidung bewirkten, durch Lernspiele kunstreich und künstlich zu schlichten versucht wird.

 

Neurowissenschaften und Pädagogik wären einander unterstützende und bestätigende Partner, würden sie einander im Dialog begegnen anstatt wie die Königskinder nicht zueinander zu finden. Diese Tagung war der Spatenstich zum Brückenbau. Drei Leitthemen gestalteten diese Tagung:

 

1. Was können Pädagogen von Neurologen lernen?

Wie das Gehirn laufen lernt

Anna Katharina Braun, Neurobiologin an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, BRD, gibt Einblick in neurophysiologische Grundlagen des Lernens und des emotionalen Verhaltens unter dem Titel: "Wie Gehirne laufen lernen oder: was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?" Spannend war zu hören, dass im Tierexperiment (an Strauchratten) nachgewiesen ist: Stress beeinflusst massiv die Ausbildung von Nervenzellen im Gehirn: Physischer Stress führt dazu, dass weniger Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen, Anm.) ausgebildet werden, emotionaler Stress schlägt sich in der Ausbildung von mehr Synapsen nieder. Allerdings findet bei diesen emotional gestressten Tieren der nächste Reifungsschritt der neuronalen Organisation nicht statt. Klinische Studien weisen immer mehr in die Richtung, dass positive und negative Gefühlserfahrungen während der ersten Lebensphase auch beim Menschen die Entwicklung der limbischen synaptischen Verschaltungsmuster beeinflussen können. Anna Katharina Braun: "Es ist nun ein, längst überfälliger, Zeitpunkt gekommen, in dem die traditionell eher getrennt arbeitenden Fachdisziplinen der Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Neurobiologie auf dem Gebiet der kognitiven Entwicklung gemeinsame Konzepte entwickeln können."

Damit weisen tierexperimentelle Forschungen in die Richtung, die die Tiefenpsychologie postuliert: die Umweltbedingungen der allerersten Lebenstage und ­jahre formen Hirnstrukturen und damit sowohl kognitive als auch emotionale Entwicklung. Und besonders spannend fand ich die Tatsache, dass um das zehnte Lebensjahr unser Gehirn eine Umstrukturierung vornimmt, die an die von Piaget beschriebenen Phasen der kognitiven Entwicklung erinnert. Zwar erst im Tierexperiment, vor allem bei Strauchratten, nachgewiesen, aber für alle, die sich mit Lernen und Lehren beschäftigen, von essentieller Bedeutung erscheint mir das Forschungsergebnis, dass emotionale Faktoren die Hirnreifung physiologisch gestalten. Oder, einfacher ausgedrückt: Neurobiologisch nachweisbar wird Lernen wesentlich beeinflusst von Gefühl. Ich danke Paul McCartney für seine gefühlvolle und daher effiziente Art, mir die englische Sprache beizubringen. Ohne ihn hätte ich den Ausführungen des nächsten Vortragenden bedauernswerter Weise nicht folgen können:

 

"Lernmaschine" Baby - aber kein Stress, bitte!

Dr. John Medina, Gründer und Leiter des Talaris Institute in USA, das sich der Erforschung der Entwicklung des Gehirns in der frühen Kindheit widmet, ist in seinem Herkunftsberuf Molekularbiologe. In seinem Vortrag: "Die Brücken zwischen Neurowissenschaft und Bildung" ließ sein Bericht über eine Studie zum Thema "Aufmerksamkeitsstörung" aufhorchen: Kinder, die im Stress leben, zeigen eine höhere Menge von Cortisol, das im Hippocampus ­ der Teil unseres Gehirns, der unter anderem für die Aufmerksamkeitssteuerung zuständig ist ­ abgelagert wird. Diese Ablagerungen von Cortisol führen zur Störung der Aufmerksamkeit.

Hier noch einige ausgewählte Forschungsergebnisse aus dem Vortrag von John Medina:

- Experimente zeigen auf, dass Babies im Alter von sechs Monaten alle Phoneme aller Sprachen, mit denen sie konfrontiert wurden, unterscheiden konnten. Wurden den Babies dann nur mehr muttersprachliches Sprachumfeld geboten, konnten sie im Alter von zwölf Monaten auch nur mehr die Phoneme der Muttersprache unterscheiden. Versuche, die Phoneme aller anderen Sprachen weiterhin anzubieten, erhielten diese Fähigkeit der Phonemunterscheidung nur dann, wenn weiterhin eine Bezugsperson mit dem Kind in dieser Sprache sprach. Babies, die diese Fremdsprache von Audio-CDs oder von Videos angeboten bekamen, verloren die Fähigkeit zur Phonemerkennung.

- In einer Untersuchung an amerikanischen Schulkindern konnte nachgewiesen werden, dass kurze Einheiten von körperlicher Bewegung, dreimal während eines Schultages durchgeführt, nach sechs Monaten signifikant bessere Lernleistungen der Kinder bewirkten.

- Sowohl die Verhaltens- als auch die molekularen Daten deuten darauf hin, dass eine Wiederholung in einem Zeitfenster von 90 Minuten eintreten muss, um die Wissensaufnahme in das Kurzzeitgedächtnis in eine Aufnahme in das Langzeitgedächtnis umzuwandeln. Wenn also Lehrer irgendeine Hoffnung haben sollen, bei ihrem Unterricht spezielle Einzelinformationen ins Langzeitgedächtnis ihrer Schüler zu übertragen, so werden sie wahrscheinlich einen Weg finden müssen, ein derartiges Zeitfenster einzuhalten.

- Biologisch nachweisbar ist der hinderliche Einfluss von Angst und Stress auf die Entwicklung von Kindern, zum Beispiel in einer breit angelegten Studie an von amerikanischen Eltern adoptierten rumänischen Heimkindern. Jeder Versuch der Gesamtschulbildungsreform, welcher die emotionale Landschaft des Zuhauses ignoriert, wird notwendigerweise gehandikapt sein.

- Der natürlichste Weg des Lernens ist Erforschung. Kleinkinder auf der ganzen Welt lernen dadurch, dass sie ihre Vorstellungen nach und nach zunehmend korrigieren. Diese Strategie ist eine der wirksamsten Methoden, die Speicherung einzelner Fakten im Gedächtnis zu stabilisieren und Problemlösungsfähigkeiten zu erhöhen. Die Konsequenz aus diesem Wissen sollte Neurowissenschaftler und Pädagogen zur Entwicklung eines Bildungswesens führen, das auf Hypothesen erzeugende Modelle ausgerichtet ist, um eine Informationsübermittlung zu optimieren.

Biologische Parameter belegen, dass zwischenmenschliche Interaktion und seelisches Wohlbefinden unabdingbare Voraussetzungen sind, um Lernen zu optimieren, Lernen wiederum kann durch die Anwendung von lerntechnischen Kenntnissen optimiert werden. Schule setzt dieses Wissen nicht um, weil die Lehrer all dies nicht gelernt haben.

Oder, einfacher formuliert: Paarberatung für die Eltern statt Nachhilfestunden für das Kind, bewegtes Erforschen statt stillem Lauschen, Zeitfenster statt Stundenplänen, aber vor allem: Vernetzung der Pädagogik mit den Neurowissenschaften ­ dann hat Lernen hat Zukunft.


2. Wie können Erwachsene vom kindlichen Spiel lernen?

Spielen am Arbeitsplatz

Mat Statler, Forschungsdirektor der Imagination Lab Foundation in Lausanne, Schweiz, betitelt seinen Vortrag: "Spielen am Arbeitsplatz". Dynamische Veränderungen von Organisationen verlangen höhere Anpassungsfähigkeit. Diese höhere Anpassungsleistung kann im Spiel trainiert werden: "serious play" ­ ernsthaftes Spiel". Eindrucksvoll beschreibt er am Beispiel der Feuerwehrmänner einen der Einsatzbereiche des "serious play": mehr Feuerwehrmänner sterben im Einsatz infolge des extremen Stresses an Herzinfarkt als am Feuer. Hier kommt "serious play" zur Anwendung, um auf die Feuerwehrmänner für die Extremsituation zu rüsten: Cyberspace, also das Training im sicheren Rahmen der virtuellen Welt, übt im ernsthaften Spiel, was im Ernstfall überlebensnotwenig ist.

Ein anderes Beispiel kommt mir in den Sinn: der Flugsimulator ist ein ernsthaftes Spiel für den Ernstfall. Offensichtlich ist gerade das Spiel besonders geeignet, uns für Extremsituation vorzubereiten. Spielen, um zu überleben ­ ich gestehe, diese Verbindung war mir nicht präsent.

 

Unterstützung des Menschen durch innovative Tchnologien

Mitchel Resnick geht in seiner wissenschaftlichen Arbeit am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) der Frage nach, wie innovative Technologien Menschen unterstützen können. "Das Saatgut für eine kreativere Gesellschaft" nennt er seinen Vortrag. In den 1980er Jahren wurde viel über den Übergang von der "Industriegesellschaft" zur "Informationsgesellschaft" gesprochen. Bodenschätze und Produktion waren nicht mehr die Antriebskräfte für unsere Wirtschaft und Gesellschaft, den Informationen wurde nun die höchste Bedeutung beigemessen. In den 1990er Jahren wurde allmählich klar, dass Informationen selbst keine bedeutenden Änderungen herbeiführten, sondern die Umwandlung von Informationen in Wissen und der Umgang damit: aus der Informationsgesellschaft wurde die "Wissensgesellschaft". Mitchel Resnick bevorzugt einen anderen Begriff, nämlich den der "Kreativen Gesellschaft": Der zukünftige Erfolg (für den Einzelnen, für Gemeinschaften, für Unternehmen, für Nationen als Ganzes) wird nicht darauf beruhen, wie viel wir wissen, sondern auf unserer Fähigkeit zu denken und kreativ zu handeln.

Als eine der größten Erfindungen Europas nennt er den Kindergarten und beschreibt die "Fröbel-Gifts", (Fröbel war der Begründer der Kindergärten) des 21. Jahrhunderts: Aus Bausteinen wurden programmierbare Bausteine. Das kreative Spiel mit den "programmierbaren Bausteinen" im Roboter-Design-Studio des M.I.T. lässt Kinder zu Erfindern werden, Er berichtet, dass im Jahr 2000 "Computer Clubhouses" gegründet wurden, mittlerweile gibt es weltweit 80 davon. Am Beispiel eines schulverweigernden Fünfzehnjährigen zeigt er auf, wie über die kreative Arbeit am Computer ein schwer lerngestörter und verhaltensauffälliger Jugendlicher seinen erfolgreichen Weg in die Gesellschaft findet, indem er sein graphisches Talent mit den technischen Möglichkeiten, die der Computer bietet, zum Einsatz bringt. Computer Clubhouses in den Armenvierteln Indiens bieten sozial massiv benachteiligten Kindern und Jugendlichen kreative Bildungschancen.

Unbefangen benützt Mitchel Resnick den Computer und die Technik als Werkzeug, ohne Angst vor der Maschine macht er diese sich und den Kindern zunutze und bietet den Kindern den Computer als Lernwerkzeug und Kreativwerkzeug erfolgreich an. Die Idee, der Umgang mit dem Computer könnte für die Kinder schädlich sein, kommt in keinem Moment auf, wenn er so benutzt wird.

 

"Wir sind drin" - Kinder&Internet

Donata Elschenbroich, Leiterin des Deutschen Jugendinstitutes in München, führt den Film: "Wir sind drin"- Kinder&Internet von Otto Schweitzer vor, ein Film, der bei anderer Gelegenheit zuschauende Pädagogen protestierend den Saal verlassen ließ, wie er berichtet: Eine Dreijährige surft im Internet und veranstaltet zur gefundenen Musik ein spontanes "Bewegungs-Happening" mit ihren Geschwistern, zwei unbeschulbare Burschen mit massiven sozialen Problemen finden im Chat den Mut, sich mit Gleichaltrigen außerhalb des Netzes persönlich zu treffen, italienische Kinder mit massiven Rechtschreibproblemen überwinden durch die Internetpartnerschaft mit einer anderen Schule ihre Angst vor dem Schreiben und erschaffen Geschichten für die Freunde vor den Bildschirmen, ausländische Kinder üben hemmungslos die neu zu erlernende Sprache, ein Dreizehnjähriger ballert machtvoll virtuelle Terroristen nieder. Die Mutter versucht, das Internet ihrem kleinen Sohn erzieherisch zu gestalten ­ sein Interesse an der Wissenserweiterung im Sinne der Bildungserweiterung durch das Internet ist marginal, seine Ausdauer und Frustrationstoleranz beim Computerspiel dagegen herausragend. Aber auch Seiten, die das Grauen aufkommen lassen, werden von den jungen Surfern gefunden.

Die Diskussion danach beginnt mit der Frage: ist es nötig, dass Kinder im Internet surfen? und endet bei der Erinnerung an die romantische Pädagogik, die vor der "Lesesucht", besonders der Frauen, warnte und das Buch verdammte.

Spiel fragt nicht, wozu es gut ist, es spielt. Spiel ist gegenwärtig, ob mit Bausteinen oder Robotern oder dem Internet. Die Inkompetenz im Umgang mit dem Medium ist nicht das Problem der Kinder, es ist das Problem der Eltern. "Musst du denn dauernd lesen?"- wie oft hab ich das als Kind gehört. Wie sich doch die Eltern über die Jahrzehnte gleichen?

 

3. Wie kann sich die Gesellschaft auf die Zukunft des Lernens vorbereiten?

Welt ­ Aneignung durch Spiel

Praxisbezogen und praxisberichtend referiert Hedi Colberg-Schrader, die Präsidentin der Vereinigung der Hamburger Kindergärten zum Thema: "Lernen, spielen, arbeiten ­ Kinder eignen sich ihre Welt an" Die erstaunliche Lernbereitschaft ist das Potential, das Kinder mitbringen, die Aufgabe der Erwachsenen ist es, der Lernfreude der Kinder eine lernförderliche Umgebung zu gestalten, in der Kinder Raum, Zeit und auch herausfordernde Anregungen finden. Die Interessen, Spiele und Themen der Kinder müssen als Ausgangspunkte für weiterführende Lernprozesse ernst genommen. Die partnerschaftliche Haltung erfordert seitens der Pädagogen eine differenzierte Wahrnehmung von Praxisverläufen: Planung, aufmerksame Beobachtung der Lernwege von Kindern, die Dokumentation von gemeinsamen Bildungsprozessen und die kollegiale Reflexion von Praxisausschnitten sind Merkmale einer qualifizierten pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen.

Gabriele König, Direktorin der Kinderakademie Fulda, berichtet unter dem Titel: "Wechselseitige Erfahrungen ­ was Kinder und Experten voneinander lernen können": Die Kinder-Akademie Fulda, in der Tradition der amerikanischen Kindermuseen 1991 gegründet, weckt mit Museum und Akademie das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Kunst und Kultur, Naturwissenschaft und Technik. In den Workshops machen die Experten Gewinn bringende Erfahrungen, unter anderem, weil die Vermittlung an Kinder von ihnen die Reflexion ihrer Tätigkeit und die Konzentration auf wesentliche Inhalte in ungewohnter Form fordert. Als positive Begleiterscheinung zeigte sich, dass Ausdrucksformen von Gewalt in Form blinder Zerstörungswut in der Kinderakademie Fulda nahezu unbekannt sind.

Anne Flemmert Jensen, Forschungsleiterin des LEGO Learning Institutes, berichtet in ihrem Vortrag: "Wie Kinder ihre Zukunft sehen" über eine in Kooperation mit der Universität Sorbonne in Paris durchgeführte Studie an 54 acht- bis vierzehnjährigen Kindern in Frankreich, Deutschland, USA, China, Österreich und Schweiz. Dabei zeigt sich ein deutlicher Einfluss des Fernsehens und eine massive, visuelle Produktion von Science-Fiction: dies entspringt nicht der eigenen Fantasie eines Kindes, sondern stammt aus der kollektiven Fantasiewelt, die von Erwachsenen erzeugt und von den Medien verbreitet wird. Abgesehen von dieser sehr futuristischen Vision der Zukunft wird das Bild der Kinder von der Zukunft jedoch stark vom Wunsch nach Kontinuität, Stabilität und einem Festhalten daran geprägt, was bekannt und vertraut ist.

 

Lernen schon in früher Kindheit

Wassilios Fthenakis, Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München und Professor für Entwicklungspsychologe an der Freien Universität in Bozen, referiert zum Thema: Neurologie und frühkindliches Lernen: Ein kontroverses Thema und eine neue Perspektive für die frühkindliche Bildung kritisch: die wissenschaftlichen Befunde sind noch nicht so weit, in sich ein einheitliches Bild abzugeben. Ein interessantes Zusammenspiel ist dabei zwischen ?alter Pädagogik? und ?neuer Hirnforschung? zu beobachten. Die Einsichten der einen, ?alten? Wissenschaft, werden nicht durch die Erkenntnisse der anderen, ?neuen? Wissenschaft, wie oft auf anderen Gebieten, einfach außer Kraft gesetzt. Vielmehr scheinen sie sich gegenseitig und im Nachhinein eher zu stützen. Die Forderung, vor allem den Bildungsprozessen in den ersten drei Lebensjahren Aufmerksamkeit zu schenken, ist eher von dem her zu verstehen, wogegen sie sich wendet, nämlich eine Vernachlässigung frühkindlicher Bildungsprozesse, als von dem her, was sie als Angebot bereitzuhalten scheint, nämlich klare theoretische Konzepte, basierend auf einer wohlgeprüften empirischen Basis und daraus abgeleitete und evaluierte praktischen Empfehlungen.

Er warnt vor Dramatik in der Darstellung von Forschungsergebnissen: sie bedeutet ein Spiel mit der Angst der Eltern und Erzieher, etwas in der Erziehung zu versäumen. Angst ist jedoch immer ein schlechter Ratgeber. Wer Wissenschaft genauer kennt, weiß, dass sie nur in Ausnahmefällen dazu neigt, wohlfeile Antworten zu liefern, die einfach in Rezepte und direkte Handlungsanweisungen umgesetzt werden können. Vielmehr tendiert sie dazu, reihenweise neue ­ durchaus nicht nur interessante ­ Fragen aufzuwerfen, die aber notwendig zu klären wären, nicht zuletzt auch, um die gefundenen Antworten wirklich verstehen zu können.

In der Abschlussbemerkung zur Tagung weist Gerwald Wallnöfer, Professor für Pädagogik an der Freien Universität Bozen, darauf hin, dass in dieser Tagung ein Aspekt vernachlässigt wurde: die Qualität des Lernens und Spielens wird durch die Interaktion mit Erwachsenen bestimmt. Er warnt vor einer Interpretation des Spielens als Lernen im schulischen Sinn, denn damit "Werde dem Spiel das Spielerische ausgetrieben." Die Wertschätzung des Pädagogen spiegelt die Wertschätzung des Kindes wieder. Und derzeit sind die Pädagogen, vor allem die Frühpädagogen, weder in ihrer Ausbildung noch in ihrer Entlohnung der Wichtigkeit ihres Auftrags entsprechend wertgeschätzt. Wünschenswert wäre, dass die Erschließung der Welt für die Kinder durch Menschen, die sich die Welt optimal erschlossen haben.

 

Unser Kommentar: Es ist schön zu sehen, wie neueste experimentelle Forschungsergebnisse alte Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, Kinderneuropsychiatrie und Pädagogik, die auf Beobachtung und Erfahrung beruhten, letztlich bestätigen und Forscher, die aus verschiedensten Richtungen kommen, einander schließlich treffen. Das bestätigt uns neuerlich in unserer Auffassung über die Abläufe der kindlichen Entwicklung.

Die Autorin dieses Tagungsberichtes, Dr. Brigitte Sindelar, beschäftigt sich schon seit langem vor allem mit einem speziellen Aspekt der kognitiven Entwicklung von Kindern, die Schwierigkeiten beim Erwerb des Lesens, Schreibens oder Rechnens zeigen, den Teilleistungsschwächen. Mit Hilfe der von ihr entwickelten Trainingsprogramme kann auch Hans nachholen, was Hänschen noch nicht ganz optimal erlernt hat.

G. Kral/Zentrum Rodaun

 

Link: Homepage von Dr. Brigitte Sindelar

 

Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

Wie die Psyche das Gehirn baut

Playstation Gehirn

 

 

 


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