Spiegelungen - interpersonelle Imitation und Resonanz von Birgit Oberwalder
Sogenannte Spiegelneuronen lassen uns fühlen und empfinden, was das Gegenüber gerade fühlt oder empfindet. Diese Spiegelnervenzellen in unserem Gehirn sind die wichtige Grundlage für Intuition und Empathie des Menschen. Welches Potenzial und welche Wirkungsbandbreite in diesen Zellen steckt, war unter anderem Thema beim diesjährigen Psychosomatik-Kongress in Freiburg zum Thema "Bindung und Entwicklung".
Die Gehirnforschung beschäftigt sich schon längerer Zeit mit dem Thema Gefühl und wie sich dieses in unserem Gehirn manifestiert. Fähigkeiten wie Mitgefühl, Empathie und Einfühlungsvermögen sind regelrecht körperlich in uns verankert. "Die Spiegelneuronen sind dafür zuständig, dass uns das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn wir jemanden beobachten, der herzhaft in eine Zitrone beißt", so Prof. Joachim Bauer. Sie sind der Grund, dass man den Schmerz beinahe selbst fühlt, wenn man sieht, wie sich jemand mit dem Messer in die Hand schneidet und man vom Gähnen des Gegenübers "angesteckt" wird. Diesen Zellen haben wir es zu verdanken, dass wir empfinden können, was andere empfinden und uns in jemand anderen hineinversetzen können. Sie sind für die unwillkürlichen Verhaltensweisen verantwortlich. "Zum einen sind die Spiegelneuronen normale Nervenzellen, die unsere Handlungen, unsere Körperempfindungen und Gefühle steuern. Andererseits werden sie auch aktiv, wenn wir andere beobachten. Das heißt, im Gehirn des Beobachters läuft ein Simulationsprogramm ab, sodass er erlebt, was der Beobachtete tut oder fühlt", so Prof. Bauer. Die Entdeckung der Spiegelneuronen gilt in der Wissenschaft als mindestens so bedeutend, wie die Entdeckung der DNA Struktur. Nicht nur eine Affensache Entdeckt wurden diese speziellen Funktionen der Nervenzellen von Prof. Dr. Vittorio Gallese Anfang der 1960er Jahre. Er beobachtete, dass immer die selben Gehirnzellen eines Affen aktiv waren, wenn dieser nach einer Erdnuss griff und zwar ausschließlich bei Erdnüssen. Griff der Affe zu etwas anderem, waren diese Zellen nicht mehr aktiv. Das entscheidende Detail was dann, dass die Zellen auch aktiv wurden, wenn der Affe nur beobachtete, dass jemand anderer nach der Erdnuss griff. Bis zu dieser Entdeckung waren die Wissenschafter davon ausgegangen, dass die Zellen beim Affen (und auch beim Menschen) eine strikte Arbeitsteilung hätten. Also, dass die einen nur für das Sehen (Beobachten) zuständig sind und die anderen nur für die Muskeln (Greifen). Aber durch diese Entdeckung Galleses ist dieser strikte Organisationsplan wie er damals von den Wissenschaftern angenommen wurde, revidiert werden. Heute weiß man, dass die Spiegelneuronen in dem Bereich des Gehirns aktiv sind, das für Bewegung zuständig ist, weiters auch im Bereich, wo Gefühle und Ekel verarbeitet werden und auch dort, wo Berührungen registriert werden. Seelenheil und Seelenschmerz
Diese Spiegelneuronen gehören zu der Grundausstattung eines jeden
Menschen. In welchem Ausmaß sie jedoch aktiv sind hängt davon
ab, wie oft und wie intensiv sie aktiviert werden, vor allem in
der Kindheit. So wird ein Kind, das nie ein Lächeln seiner Umgebung
erfährt, auch im späteren Leben eher zu keiner Spiegelung eines
Lächelns fähig sein. Es wird also weniger auf die Empfindungen
anderer Menschen achten. Wird jedoch in Kindesalter "fleißig gespiegelt",
kann das sehr positive Auswirkungen haben. So ist es zum Beispiel
möglich, dass allein durch das Beobachten der liebevollen, auf
wachsender Bindung beruhenden Interaktion zwischen einer Mutter
und ihrem Baby, sich die Fähigkeit zur Empathie des Beobachters
erweitert und verbessert. Dies fand Prof. Karl Heinz Brisch (München)
heraus. Ein Jahr lang durften Kindergartenkinder unter Anleitung
ihrer Erzieherin oder Lehrerin die Interaktion einer Mutter mit
ihrem Baby für 30 Minuten in der Woche beobachten. Ergebnis dieses
Babywatchings (B.A.S.E. ®) war, dass die Kinder weniger aggressiv,
weniger ängstlich und weniger oppositionell waren und sich insgesamt
prosozialer verhielten. Diese Erkenntnisse der positiven Seiten
des "Spiegelns" eröffnen eine neue Bandbreite an Möglichkeiten,
um soziale Fertigkeiten auf spielerische und einfache Art schon
im Kindesalter zu vermitteln. Willenlose hemmungslose Marionetten
Nun, da man davon ausgehen kann, dass die Spiegelneuronen uns
dazu veranlassen, alles zu imitieren, was wir beim Gegenüber beobachten,
stellt sich die Frage, warum wir nicht wie verrückt alles und
jeden imitieren und zu willenlosen Marionetten degradiert werden.
Dagegen hat die Natur eine Schranke eingebaut. Eine natürliche
Hemmung verhindert, dass wir uns das Eis auf das eigene T-Shirt
schmieren, wenn dem gegenübersitzenden Kollegen die eigene Eiskugel
auf das Hemd klatscht. Wir erleben allenfalls den Schmerz des
Verlustes über das Eis oder den Ärger über das Beschmutzen des
frisch angezogenen Hemdes mit. Allerdings kann es bei einer lokalen
Hirnschädigung zu einer sogenannten Echopraxie kommen. Davon betroffene
Menschen unterliegen dem Zwang, alles zu imitieren, ohne dies
unter Kontrolle zu haben. So kratzen sie sich an der Nase, binden
sich die Schnürsenkel und hüpfen durch die Gegend, wenn dies jemand
in ihrer Anwesenheit macht. Was für den normalen Menschen vielleicht
unterhaltsam klingen mag, ist für die Betroffenen allerdings eine
schlimme Qual. Bodycheck Spiegelneuronen aktivieren sich, sobald ein Mensch in meine unmittelbare Umgebung tritt. Diese Aktivierung hilft uns, dass wir auf Bahnhöfen oder in Einkaufszentren in einem Gewühl von Menschen nicht mit jedem zusammenstoßen. Die Neuronen verschaffen uns Gewissheit über den vermutlich weiteren Ablauf des Geschehens und so wissen wir intuitiv, wie wir unseren Weg durch die Menschenmassen bahnen können, ohne Gefahr zu laufen, angerempelt zu werden. Wir erkennen intuitiv ob der uns entgegenkommende Mensch links oder rechts ausweichen wird und dementsprechend verhalten wir uns dann. Dies alles geschieht mehr oder weniger unbewusst. Diese Mechanismen zeigen sich auch bei guten Sportmannschaften. Sie wissen genau untereinander, wie die Laufwege der Mitspieler ausschauen und dieses "Bauchgefühl", das eigentlich ein "Hirngefühl" ist, lässt die gegnerische Mannschaft an ein Erfolgsgeheimnis der Gewinner glauben.
Wenn wir das erste Mal mit Jemanden zusammentreffen empfinden
wir sogleich entweder Sympathie oder Antipathie. Auch für dieses
Gefühl sind die Spiegelneuronen wichtig. Die Einstellung kann
sich natürlich nachfolgend durch Erfahrung und Verstand ändern.
Der erste Eindruck wird uns aber durch die Spiegelneuronen vermittelt.
Besonders wichtig ist der erste Eindruck in Situationen wie beispielsweise
der Arzt-Patient-Beziehung. Prof. Bauer meint dazu: "Es begegnen
sich zwei Personen, deren Einstellungen und Erwartungen zu intuitiven
Wahrnehmungs- und Spiegelungsabläufen führen, die den Behandlungserfolg
stärker beeinflussen als manche therapeutische Maßnahmen." Da
die Neuronen immer aktiv sind quasi nicht ausschaltbar ist
es umso schlimmer, wenn wir keine Resonanz von anderen Menschen
erfahren und schlichtweg ignoriert werden. Diese Strategie kommt
zum Beispiel bei Mobbing vor und führt dazu, dass der Betroffene
schwer erkranken kann. Quelle: MedAustria; Mag. Wenzel Müller (Ärzte Woche)
Unser Kommentar: Nun scheint das Geheimnis gelüftet um so manch seltsames Verhalten von Menschen. Sei es, dass man unbedingt gähnen muss, wenn?s das Gegenüber tut oder dass Mütter den Mund selbst weit auf machen, wenn sie die Kleinen füttern. Die Spiegelneuronen stecken dahinter und zum Glück gibt es aber eine Schranke die verhindert, dass wir ungestüm jede Mimik imitieren oder unentwegt Dinge tun müssen, die wir gar nicht tun wollen. Dass unsere Beobachtungen jedoch nicht ganz ohne Eindruck an uns vorübergehen ist vor allem dann wichtig, wenn es um Gewalt und unmenschliches Verhalten geht. Kinder, die die Grenzen von Realität und Fiktion noch nicht so gut erkennen können oder in einem Milieu aufwachsen, das vorwiegend Gewalt spiegeln lässt, sind wohl zugänglicher dafür in entsprechenden Situationen auch eher gewaltsam zu handeln. Da diese neuen Erkenntnisse nun vorliegen, kann man sie sich aber auch zu Nutze machen und das ist mit dem Babywatching anscheinend auch sehr gut gelungen. Wenn so einfache Bedingungen dazu führen können, dass Kinder ruhiger, konzentrierter und emphatischer werden, kann ich nur empfehlen, solche und ähnliche "Übungen" verpflichtend einzuführen. Sicher werden sie nicht alle Gewalt beseitigen, aber es könnte dadurch ein positiver Dominoeffekt ausgelöst werden, der unsere Gesellschaft in Zukunft friedlicher leben lässt. Das Babywatching ist im Grunde genommen ja nichts neues. Frühere Generationen waren ja ständig dem Babywatchen ausgesetzt. Da zeigt sich wieder einmal Altbewährtes in neuem wissenschaftlichen Licht und vielleicht wird im Fernsehen irgendwann einmal statt Baywatch Babywatch im Nachmittagsprogramm laufen.
Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun
Links: Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM)
Literaturtipps:
Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation
und das Geheimnis der Spiegelneuronen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus
kooperieren. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Antonio R. Damasio: Descartes' Irrtum: Fühlen, Denken und das
menschliche Gehirn. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen Frühe Bindungen prägen das Leben als Erwachsener Die Liebe zum Kind kommt oft nicht "automatisch"
|
Zentrum Rodaun, 1230 Wien, Kaltenleutgebnerstraße 13A / 23
Tel: 01/8892572, 01/8891021 e-mail: team@zentrum-rodaun.at