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11. September 2001 und die psychischen Folgen

 

Ein Jahr danach erscheinen Studien über die psychischen Folgen der Terrorattacken vom 11.9.2001. Im August in einer amerikanischen Fachzeitschrift (Journal of the American Medical Association), etwa zeitgleich wurde in Yokohama eine Untersuchung über amerikanische Kinder präsentiert.

 

Dramaturgie der Medien und posttraumatisches Stresssyndrom

Die Anschläge auf das WTC haben nicht nur wegen der vielen Toten, sondern vor allem auch wegen ihrer Dramaturgie und Ästhetik die Menschen auf der ganzen Welt vor den Bildschirmen gebannt, auf denen tagelang immer wieder dieselben Bilder zu sehen waren. Vermutlich war besonders unheimlich und zugleich faszinierend, dass es vom zweiten Flugzeug. das in den Turm raste, sofort Live-Bilder gab, da durch den ersten Anschlag die Medien bereits "alarmiert" waren und Zeit genug hatten, sich in New York zu positionieren, um die Weltöffentlichkeit mit Bildern zu beliefern. Wenn reales Spektakel und Medienpräsenz zusammenfallen, kommen die Live-Medien zu sich und zeigen, wie eng Terror oder Katastrophe mit den Massenmedien als Nachricht verbunden sind. Angeblich haben, wie US-Psychologen nach der Auswertung einer landesweiten Befragung berichten, Millionen von Amerikanern durch die Bilder von der Katastrophe ein posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD) entwickelt - und dies auch nur als Fernsehzuschauer.

Normalerweise entsteht ein PTSD nur bei denjenigen, die ein Ereignis auch direkt erlebt haben. Das aber könnte sich im Zeitalter der Medien und vor allem der Echtzeitberichterstattung ändern. Immer öfter können die Menschen direkt am Geschehen teilhaben, auch wenn dies meist nicht live, also in Echtzeit parallel zum Ablauf des Ereignisses geschieht, aber doch durch das zeitversetzte Sehen von Bildern, die live aufgenommen wurden. Auch dann werden wir zum Zeugen, der möglicherweise nicht immer seine Distanz als Beobachter wahren kann, der zwar vom Anblick des Gezeigten wie bei einem fiktiven Film erregt, aber nicht betroffen ist.

Studienergebnisse

Die Untersuchung ("National Study of Americans' Reactions to September 11") wurde mittels Vorgabe eines online-Fragebogens zum posttraumatischen Stresssyndrom an 2773 Erwachsenen durchgeführt. Sieht man ab von New York und Washington, so haben nach der Auswertung 4 Prozent aller Amerikaner, die nur indirekt Zeugen sein können, Symptome von psychischen Stress berichtet. Allerdings muss das nichts mit dem 11.9. zu tun haben, sondern könnte einfach auch der normalen, erwartbaren Verteilung entsprechen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatten jedoch über 11 Prozent der New Yorker (mehr als 500.000 Menschen) PTSD-Symptome, die vergleichbar waren mit Überlebenden von Verkehrsunfällen oder Opfern von sexuellen Gewalttaten. Sie fühlten sich also allein durch die Nähe besonders gefährdet, auch wenn sie wie die Anderen das Ereignis nur im Fernsehen beobachten konnten. Dabei spielte das Geschlecht, die Zahl der Stunden vor dem Fernseher und die mit den Anschlägen verbundenen Inhalte eine verstärkende Rolle.

Erstaunlich ist allerdings, dass nur 2,7 Prozent der Menschen aus Washington Hinweise auf PTSD-Symptome gaben. Das liegt unter dem landesweiten Durchschnitt, wobei auch die Menschen in den größeren Städten mit 3,6 Prozent etwas weniger beeindruckt zu sein scheinen. Eine wirkliche Erklärung für die Diskrepanz zwischen New York und Washington, beiden Ziele der Anschläge, haben die Psychologen nicht. Sie führen an, dass das Pentagon von der Stadt geografisch isolierter sei als das WTC in New York, weswegen die Einwohner sich weniger gefährdet fühlten oder sich mit den Opfern identifizierten. Der Einschlag des Flugzeugs in das Pentagon sei auch weniger schlimm als der der beiden Flugzeuge in die WTC-Türme gewesen. Vermutlich liegt der Unterschied aber weniger in der Zahl der Opfer als in den Bildern, die im Fall des Pentagon weniger "spektakulär" waren. Leider aber führen die Autoren der Untersuchung diesen Punkt nicht weiter aus.

Wie immer bei solchen Analysen lässt sich aus dem festgestellten Zusammenhang zwischen der Zeit, die Menschen vor dem Bildschirm verbrachten und dabei über die Berichte und Bilder von den Anschlägen zu indirekt Beteiligten wurden, und der Entwicklung von PTSD-Symptomen keine Kausalität ableiten. Ob also die Fernsehzeit und die rezipierten Inhalte posttraumatischen Stress bewirken oder Menschen, die bereits solche Symptome zeigen, stärker von der Berichterstattung über den 11.9. angezogen waren und deswegen auch länger vor dem Fernseher saßen, bleibt eine offene Frage. Aber gleich ob der "Fern-Seher" eine bereits vorliegende psychische Verfassung durch den TV-Konsum traumatischer Bilder abzuarbeiten sucht oder tatsächlich durch die Fernsehbilder Angstsymptome entwickelt, so dürfte dies doch wieder dafür sprechen, dass Medienkonsum Spuren hinterlässt.

Schaden für die Psyche einer ganzen Generation?

Einer anderen Studie zufolge haben die Anschläge vom 11. September bei Tausenden New Yorker Kindern seelische Schäden verursacht, die sie bis ins Erwachsenenalter begleiten könnten. "Wir sprechen über einen sehr großen Bevölkerungsanteil, der gefährdet ist", sagte die Psychologin Christina Hoven, Mitverfasserin einer Studie über die psychischen Folgen der Anschläge für Kinder. Der psychische Zustand einer gesamten Generation sei gestört. Probleme wie Alkoholmissbrauch und Depressionen hätten bereits jetzt enorm zugenommen.

Hoven und ihre Kollegen von der New Yorker Columbia- Universität haben für ihre Studie 8.300 Kinder und Jugendliche aus New York im Alter von neun bis 18 Jahren befragt. Sie haben entweder ein Familienmitglied, das dem Anschlag auf das World Trade Center entkam, oder verloren einen Verwandten bei dem Anschlag. Viele Symptome spiegelten psychische Probleme wieder, die besonders bei Kindern beobachtet würden, die in Kriegsgebieten lebten, fügte Hoven hinzu. Sie würden Erlebtes zunächst verdrängen und ihre seelischen Wunden nach außen nicht zeigen. Durch weitere traumatische Erfahrungen in ihrem Leben könne der 11. September jedoch plötzlich wieder präsent werden. "Es ist etwas, worüber du nicht sprechen willst. Doch plötzlich gibt es einen Autounfall, und du erlebst es noch einmal."

Besonders anfällig für psychische Schäden seien die Kinder von Einwanderern, die möglicherweise bereits in ihrem Herkunftsland Schlimmes erlebt hatten, so Hoven. Die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in New York oft weite Entfernungen zu ihren Schulen zurücklegen müssten, habe zu einem starken Anstieg der Platzangst geführt - ein Phänomen, das normalerweise nicht mit erlebten Katastrophen in Zusammenhang gebracht wird.

Quellen: JAMA, telepolis, Der Standard

 

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