Buchstaben als Feinde
In jeder Klasse sitzen Legastheniker, Kinder mit diagnostizierter Lese-Rechtschreibschwäche stoßen bei ihren Lehrern allerdings oft auf Unverständnis. Die Schwäche lässt sich mittels fundierter Methoden allerdings bessern.
Eine aktuelle Studie von Julie Logan, Expertin für Entrepreneurship aus London, zeigt, dass Legastheniker besonders häufig in der Wirtschaft reüssieren - satte 35 Prozent von befragten 139 US-amerikanischen Kleinunternehmern deklarierten sich als legasthenisch. In Europa sind rund 23 Millionen Menschen betroffen. Logan interpretiert den Erfolg von Legasthenikern so: Sie lassen sich bei Rückschlägen nicht entmutigen, können delegieren, sind gute Redner und haben ein Gespür dafür entwickelt, wer sie unterstützen kann. Strategien fürs Leben Legastheniker haben gelernt, sich Strategien fürs Leben in der Leistungsgesellschaft zurechtzulegen. Mit dem ersten Frust sind die meisten schon in den ersten Wochen nach der Einschulung konfrontiert. Während Mitschüler problemlos erste Wörter wie "Mimi", "Auto" und "Oma" niederschreiben, haben Kinder mit Legasthenie große Schwierigkeiten beim Erwerb der Schriftsprache. Schulangst und psychosomatische Beschwerden
Es gelingt einfach nicht, Sprechwörter in einzelne Laute zu zerlegen
und Buchstaben zuzuordnen. Typisch ist etwa, dass legasthenische
Kinder nicht heraushören, wie unterschiedlich die Anfangsbuchstaben
von "Apfel" und "Birne" klingen. Auch mit dem Lesen klappt es
nicht. Schulangst und psychosomatische Beschwerden können die
Folge der ständigen Misserfolge sein, denn nicht selten hält das
Umfeld die betroffenen Kinder für dumm oder faul - und das, obwohl
Legasthenie zu den häufigsten Entwicklungsstörungen gehört.
Falsche Hoffnung
"Das wächst sich aus", meinen viele Eltern. Dem Kind würde später
bestimmt der Knopf aufgehen. "Das ist leider ein Trugschluss",
so Eva Lunzer, Legasthenietherapeutin in Wien. Anstatt abzuwarten,
sollte man bei Verdacht möglichst früh einen Psychologen aufsuchen,
der neben standardisierten Lese- und Schreibtests auch den IQ
bestimmt. Dann kann man mithilfe von wissenschaftlich evaluierten
Lese- und Rechtschreibprogrammen in der Regel gut gegensteuern.
Den richtigen Therapeuten zu finden ist zuweilen schwierig. "Ich
warne vor Wundertherapien, die eine rasche Problemlösung versprechen",
sagt die Entwicklungspsychologin Karin Landerl. Für betroffene
Eltern sei es schwierig, im unübersichtlichen "Supermarkt der
Förderangebote" geeignete Anlaufstellen zu finden. Hinzu kommt
die finanzielle Belastung. Denn eine Einzelsitzung kostet rund
20 bis 70 Euro, ist aber zielführender als heterogene Fördergruppen.
"Außerschulische Therapie auf Krankenschein ist noch Wunschdenken",
so Landerl.
Köhlmeier: "Ich bin Legastheniker" Einige besonders erfolgreiche Legastheniker stehen mittlerweile zu ihrem Handicap, etwa auch der Schriftsteller Michael Köhlmeier. "Mit Tricks und Eselsbrücken habe ich es im Laufe der Jahre reduziert", schreibt er in einem Selbstporträt (Hanser Verlag), "ganz habe ich es bis heute nicht wegbekommen. Ich bin legasthenisch. Nicht sehr. Aber genug. Bis heute lese ich leise nicht schneller als laut.
Wenn Buchstaben tanzen
Jakob Schmid, 12, konnte schon sehr früh sinnerfassend und fließend
lesen. Nur mit der Rechtschreibung hatte er Probleme. Immer wieder
fragten die Eltern die Volksschullehrerin daher, ob Jakob nicht
Legastheniker sein könnte. Da er aber ein guter Leser war und
die Pädagogin auch sonst keinerlei Anzeichen für Legasthenie erkennen
konnte, schloss sie das aus.
Nicht in die AHS
15 Prozent betroffen
Dabei sind bis zu 15 Prozent aller Menschen von Legasthenie betroffen.
Erschreckend: "Es gibt keine genauen Zahlen, weil diese therapierbare
Schwäche oft überhaupt nie diagnostiziert wird. Diese Menschen
scheitern oft früh in ihrer Schullaufbahn. Sie und ihre Eltern
leiden, weil man ihnen sagt, dass sie dumm sind. In Wirklichkeit
ist unser Schulsystem oft zu dumm, Legasthenie rechtzeitig zu
diagnostizieren und den Betroffenen zu helfen", meint KURIER-Schüleranwalt
Andreas Salcher. Quelle: derStandard, Kurier
Unser Kommentar: Gut, dass Zeitungen dieses Thema immer wieder aufgreifen, denn obwohl das Konzept der Legasthenie - also der Schwierigkeiten beim adäquaten Erwerb des Lesens und des Schreibens bei zumeist guter Intelligenz - schon vor über 50 Jahren populär wurde, ist immer noch viel zu wenig bekannt, dass es sich dabei nicht um Faulheit oder Dummheit handelt, sondern um eine behandelbare Schwäche. Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Legastheniebegriff auch weiter entwickelt und verfeinert, und auf Basis des Konzeptes der Teilleistungsschwächen steht ein bewährtes Behandlungskonzept zur Verfügung. Unsere Arbeit im Zentrum Rodaun beruht auf diesem Konzept. Wie versuchen auch, in Form von Kooperationen mit Schulen das diesbezügliche Bewusstsein bei LehrerInnen und Eltern zu verstärken (wir bieten zu diesem Thema auch Fortbildungen für LehrerInnen an!), denn - wie im Artikel oben erwähnt - gilt, dass die Erfolgsaussichten umso besser sind, je früher mit der Behandlung begonnen wird. Aus diesem Grund gibt es auch eine Kooperation mit einem Kindergarten, um bereits im Vorschulalter mögliche Schwierigkeiten zu erkennen und Gegenmassnahmen vornehmen zu können. Der präventive Wert dieser Arbeit, auch im Hinblick auf spätere psychische Probleme, erscheint uns sehr hoch; dennoch sind nach wie vor die Kosten ausschliesslich von den Eltern zu tragen. Vielleicht bringen das "Jahr der Prävention", das Gesundheitsministerin Kdolsky für 2009 ausgerufen hat, oder eine allffällig in Zukunft mögliche Kassenfinanzierung von Klinisch-Psychologischen Interventionen hier neue Möglichkeiten...
Gerald Kral/Zentrum Rodaun
Links:
Literaturtipps:
Brigitte Sindelar: Mein Kind ist doch nicht dumm! Teilleistungsschwächen
als Ursache von Legasthenie, Leseschwäche, Rechenschwäche. Bestellmöglichkeit bei der Autorin!
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen Jedes 10. Kind leidet an Legasthenie
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