Im Bett mit Madonna und Snoop Dog von Birgit Oberwalder
Dr. Primack und Kollegen aus Pittsburgh konnten mit der Studie „Exposure to Sexual Lyrics and Sexual Experience Among Urban Adolescents“ zeigen, was bereits mehrere Studien feststellen konnten: Musiktexte, deren Inhalt aggressiven, erniedrigenden Sex thematisieren, stellen einen wichtigen Einflussfaktor bezüglich früher sexueller Entwicklung dar.
Der Forscher stellt in seinem Artikel fest, dass junge Menschen in den USA während der entscheidenden Jahre ihres Erwachsenwerdens täglich 2,4 Stunden Musik hören bzw. ca. 16 Stunden die Woche. Mehr als ein Drittel der Populärmusik beinhaltet expliziten bzw. indirekt angesprochenen Sex oder sexuelle Aktivität. Es gibt deutliche theoretische und auch empirische Hinweise darauf, dass frühe sexuelle Aktivität auch eine Folge der Berieselung durch sexuell geladene Songtexte sein kann. Die Macht der Musik Bekannt ist, dass Erwachsenwerden stark mit der Musik in Verbindung steht. Das geht sogar so weit, dass Musik auch als Einflussfaktor auf die Entwicklung der eigenen Identität gesehen wird mehr als jedes andere Unterhaltungsmedium. Das Thema Sex spielt in der Musik eine große Rolle. Die Forscher unterscheiden in ihrer Studie zwischen zwei Arten von Songtexten. Dies waren zum Einen Texte über degradierenden (aggressiv, erniedrigenden) Sex und zum Anderen Songtexte, die zwar sexuellen Inhalt hatten, aber nicht in dieser erniedrigenden aggressiven Form. Konkret verstanden die Forscher unter degradierendem Sex den Akt, beschränkt auf seine physische Charakteristik bzw. Sex im Zeichen eines Machtgefälles, anstelle von gemeinsamer Übereinstimmung. Diese Art von Texten machen zwei Drittel aller sexuell gefärbten Songtexte aus. Unterscheidet man zusätzlich je nach Genre, so zeigt sich, dass degradierender Sex vor allem in Texten des Rap-Genre zu finden sind, gefolgt von R&B und Hip-Hop. Interessanterweise sind diese Musikrichtungen auch die beliebtesten Genres junger Leute (unabhängig von demografischen Faktoren), stellt Dr. Primack in seinem Artikel „Sexual content in popular music“ fest. Den wenigsten Sex beinhalten Countrysongs. “Plug and Play” Dr. Primack und sein Team fanden in ihrer aktuellen Studie heraus, dass die 711 befragten jungen Erwachsenen mit dem durchschnittlichen Alter von 15 Jahren (aus dem städtischen Bereich), im Schnitt 31 Stunden in der Woche Musik hören und nicht ganz 15 Stunden davon beinhalten Songtexte mit den beschriebenen degradierenden Sex-Inhalten. 30% der Befragten gaben an, bereits sexuellen Verkehr gehabt zu haben. Weiters fanden die Forscher heraus, dass hoher Konsum von Songs (deren Inhalt degradierender Sex ist), steigendes Alter, männliches Geschlecht, afroamerikanische Abstammung, niedrige Ausbildung und erhöhte Rebellionsbereitschaft mit früher sexueller Erfahrung in Verbindung stehen. Im Gegensatz dazu zeigte sich, dass Texte ohne den degradierenden sexuellen Inhalt nicht mit einem erhöhten Risiko für sexuelle Aktivität in Verbindung stehen. Diese Ergebnisse bedeuten, dass die Berieselung durch Medien mit sexuellem Inhalt durchaus einen möglichen Risikofaktor für eine frühe sexuelle Entwicklung darstellen kann. Bestätigt werden hier auch frühere Studien, die belegten, dass diese Art von Songtexten ein stärkerer Risikofaktor für die sexuelle Entwicklung sind als die nicht-degradierenden Songtexte. Bestätigt wurde auch der höhere prozentuelle Anteil der afroamerikanischen und sozioökonomisch schlechter gestellten Gesellschaftsgruppe. Lernen am Modell Musik hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die persönliche Identität. Vor allem junge Menschen imitieren ihre Idole aus dem Musikbusiness, sei es in der Mode, im Verhalten oder anderen identitätsbildenden Faktoren. Dies betrifft Mädchen genauso wie Jungen. Musik, die einen degradierenden sexuellen Inhalt hat, beschreibt den Geschlechtsakt fordernd, direkt und unkompliziert. Diese Darstellung kann von jungen Menschen quasi als Skript dazu dienen, wie Sex handzuhaben sei. Songtexte, die Sex nicht aggressiv oder erniedrigend darstellen, widmen sich mehr den Komplikationen und der Komplexität von sexuellem Verhalten, was Jugendliche weniger zur Imitation animiert. Hinzu kommt, dass wiederholtes Konsumieren der degradierenden Songtexte zu einer Desensibilisierung der jungen Menschen bezüglich der sexuellen Gewalt und Macht im realen Leben führen kann. Frühere Studien zeigten, dass Medien, die sexuelle Aggression gegenüber Frauen beinhalten, dazu führen können, die Sensibilität sowohl bei Frauen als auch bei Männern bezüglich der realen sexuellen Aggression zu stören. Psychische und physische Konsequenzen 15 Stunden die Woche, voll von degradierenden sexuellen Inhalten, dem gilt es entgegenzuhalten. Dr. Primack meint, dass der Sexualunterricht in den Schulen und in der Gesellschaft minimal in den Köpfen junger Leute präsent ist, im Vergleich dazu, was ihnen so mancher Songtext über Sex erzählt. Es wäre sinnvoll, wenn Lehrer, Gesundheitsspezialisten, Eltern und wichtige Bezugspersonen sich ebenso mit diesem „musikalischen Sexuallehrstoff“ vertraut machen würden, um diesen Botschaften effektiver entgegenhalten zu können. Gefordert ist hier innovatives und kreatives Vorgehen, um jungen Menschen die Mittel mitzugeben, die sie brauchen, um den Wahrheitsgehalt des sexuellen Inhalts kritisch zu hinterfragen und die Konsequenzen früher sexueller Aktivität zu verstehen. Eine Möglichkeit wäre es, so der Autor, mediale Literatur in den Sexualunterricht zu integrieren, wobei die jungen Leute lernen sollen, diese Texte zu analysieren und das mediale Bild von Sex zu bewerten. Anzumerken ist, dass diese Studie nicht den visuellen Aspekt der Musik miteinbezogen hat (Videoclips) und sich ausschließlich auf den Text konzentriert hat. Weiters betont Dr. Primack, dass die gefundenen Zusammenhänge nicht mit Kausalität gleichzusetzen sind. Das heißt, dass das Konsumieren sexuell geladener Musik das sexuelle Verhalten beeinflussen kann, aber auch der umgekehrte Weg möglich ist. Die Studie berücksichtigt zudem nur einen Favoriten der Befragten und nicht das gesamte Spektrum der Künstler, die möglicherweise gehört werden. Dr. Primack geht allerdings davon aus, dass bevorzugt Musik aus demselben Genre konsumiert wird. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass heranwachsende Menschen sehr viel Musik ausgesetzt sind, die einen degradierenden sexuellen Inhalt aufweist und diese Ausgesetztheit tritt zusammen mit frühen sexuellen Erfahrungen und risikofreudigem sexuellen Verhalten auf. Ein wichtiges Thema, wenn man bedenkt, dass ein Viertel der weiblichen Heranwachsenden in den USA und die Hälfte der weiblichen afroamerikanischen Heranwachsenden unter sexuell übertragenen Infektionen leiden und mit jährlichen 750 000 Fällen, Amerika eine der höchsten Raten bei Teenagerschwangerschaften in den entwickelten Ländern aufweist.Quelle: American Journal of Preventive Medicine (2009); Public Health Reports (2008) Unser Kommentar: “Küss die Hand schöne Frau, ihre Augen sind so blau…” wird wohl keinen Jugendlichen so schnell dazu bewegen, erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Aber wie schaut es mit Texten, wie dem Folgenden aus: “Ay bitch! Wait ´til you see my dick. Imma beat that pusssy up”. Dieses Beispiel aus Dr. Primacks Artikel zeigt, dass sich eigentlich neben der Frage nach dem Wann vor allem die Frage nach dem Wie stellt. Dass die Jugend schon sehr früh sexuelle Erfahrungen macht, gilt wohl für Amerika und Europa gleichermaßen (ich wage zu behaupten: Das war schon immer so). Heute sind die Jugendlichen früher reif als „damals“, was nicht zu verwechseln ist mit „aufgeklärter“. Dass 15-Jährige Sex haben, wird schwer zu vermeiden sein. Aber wenn diese jungen Seelen mit einer derartigen Einstellung wie sie obern zitiert wurde an „die Sache“ herangehen, kann das ungute Folgen haben. Direkter, fordernder, unkomplizierter Sex so wird er in den Liedern besungen und mit dieser Erwartung wird also drauflos geflirtet? Eine gewisse Gefühllosigkeit macht sich hier bemerkbar Desensibilisierung. Mit dabei sind Gewalt und Machtspiele. Bitch! Kein guter Start für eine zärtliche Romanze. Dass zwei Drittel aller sexuell gefärbten Texte erniedrigenden, aggressiven Sex beinhalten hängt aber auch damit zusammen, dass Künstler, die diese Musik machen, eher publik werden. Das bedeutet nicht, dass es besser wäre, die Jugendlichen bekämen nur noch Countrymusik zu hören. Vielmehr geht es darum, wie Dr. Primack richtig feststellt, die Kritikfähigkeit der Jugend zu stärken. Ein gesundes Selbstbewusstsein, eingebettet in ein fürsorgliches und verstehendes Umfeld ist weniger antastbar durch jedwegliche Songtexterei. Wo Tabuthemen aufgegriffen werden und in innovativer und kreativer Form bearbeitet werden, hat ein degradierender sexueller Text keine Chance auf Imitation. Des weiteren ist auch festzuhalten, dass jeder Junge und jedes Mädchen selbst wenn all diese Voraussetzungen nicht gegeben sind die Entscheidung ganz für sich allein treffen kann, wie in das Neuland der Sexualität gestartet wird! Nicht zu vergessen, dass in dieser Studie keineswegs von Kausalität die Rede ist; also zur Frage, ob das Eine das Andere kausal verursacht oder ob beim Einzelnen beides gleichzeitig vorkommt nichts ausgesagt wird. Zu einfach wäre es, der Musik die Schuld in die Schuhe zu schieben - nein - wieder einmal liegt es nämlich in der Verantwortung der Gesellschaft, der Schule, der Familie und der Eltern… und nicht zuletzt in der Verantwortung der Jugendlichen selbst, wie mit Sexualität (Themen: Verhütung, Aufklärung, AIDS,…) umgegangen wird. Simone Georgieva/Zentrum Rodaun
Katja Reider und Constantin Kilian: Das erste Mal lieben. Bestellmöglichkeit bei amazon.at! Bernd Siggelkow und Wolfgang Büscher: Deutschlands sexuelle Tragödie: Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist. Bestellmöglichkeit bei amazon.at! Sabine Thor-Wiedemann und Beate Fahrnländer: Liebe, Sex & Co: Das Aufklärungsbuch für Jugendliche. Bestellmöglichkeit bei amazon.at! Katrin Zielina: Stellenwert der Musik bei der Identitätsbildung von Jugendlichen. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!
Das "erste Mal" ist erst der Anfang
|
Zentrum Rodaun, 1230 Wien, Kaltenleutgebnerstraße 13A / 22
Tel: 01/8892572, e-mail: team@zentrum-rodaun.at