Schutzzone für Kinder?
Nach Jahren der Diskussion über das Für und Wider von Schutzzonen
im Internet unterschrieb Präsident George W. Bush den "Dot Kids
Implementation and Efficiency Act". Somit kann endlich die Spaltung
in gut und böse, die Benennung von Freunden und Feinden auch Einzug
ins Internet halten; dank Bush gibt es fürderhin gute domains
und Schurkendomains. Und wer wohin gehört, das weiß Bush - der
Dank unserer Kinder ist ihm gewiss.
"Diese Domain", sagte Bush vor Unterzeichnung des von einem Kongressausschuss
entworfenen Gesetzesentwurfes, "ist wie die Kinderabteilung einer
Bücherei, in der man die Kleinen gern herumblättern lässt".
So kann man das sagen. Mit der Schaffung einer ".kids.us"-Unterdomain
zur bisher wenig genutzten US-Länderkennung könnte tatsächlich
der erste offene Schutzraum für Minderjährige im Internet entstehen.
Das klingt zunächst paradox, doch "offen" und "Schutz" müssen
sich durchaus nicht ausschließen.
Was dem US-Kongress beim Entwurf des "Dot Kids Implementation
and Efficiency Act of 2002" vorschwebte, war eine Art WWW für
Kinder, bereinigt nur um nicht kindgerechte Inhalte sowie um Kommunikationsmittel,
die keinem wachsamen Monitoring unterworfen sind.
Im Klartext: Wer auch immer unter der kids.us-Adresse publizieren
will, wird es sich gefallen lassen müssen, dass man ihm aufmerksam
auf die Finger schaut. Den entsprechenden Vertrag für diese Wächterdienste
bekam der Registrar Neustar, dem die Verwaltung des neuen Adressraumes
obliegt und damit auch die Wacht darüber, dass die eng definierten
Regeln der Kids-Zone wirklich eingehalten werden.
Die sind relativ leicht zu beschreiben. Publiziert werden darf
nur, was als "kindgerecht" klassifiziert wird. Kommuniziert werden
darf nur auf Plattformen, die einem Monitoring unterliegen. Keine
Kids-Seite darf auf Webseiten außerhalb der Schutzzone verlinken.
Der Einsatz von Chats und Instant Messengers ist stark eingeschränkt
und an ein enges Monitoring
gebunden.
"Mit diesem großen Bruder können wir leben" schrieb dazu die "Information
Week", und auch sonst konnte Icann, die Internet-Verwaltungsbehörde,
von der man zwei Jahre lang vergeblich die Schaffung einer solchen
Schutzzone erhofft und verlangt hatte, ausgiebig beobachten, wie
leicht es gewesen wäre, zur Abwechslung mal begeistert positive
Schlagzeilen zu ernten. Die amerikanischen Medien applaudieren
fast uneingeschränkt, obwohl, wie die "Washington Post" richtig
anmerkt, es noch nicht gar nicht klar sei, ob die Kids-Domain
zu einem Erfolg wird oder nicht.
Denn zum einen gibt es keine Erfahrungen damit, einen ganzen Adressraum
zu bewachen und zu moderieren, zum anderen kann man zwar die Betreiber
von Websites im Kids-Raum zur Einhaltung von Regeln anhalten,
nicht jedoch die Kids dazu, nur noch im Kids-Raum zu surfen. Nicht
zuletzt wird der Erfolg also davon abhängen, ob es gelingt, genügend
Website-Betreiber für die Schutzzone zu gewinnen - und davon,
ob es gelingt, einen guten "Kinder-Browser" für die Kleineren
zu launchen, der sich ausschließlich im Kids-Netz bewegt.
"Walled Gardens": Kindergärten brauchen Zäune
Dann könnte das Projekt tatsächlich Vorbildcharakter gewinnen.
Das Konzept von Web-Schutzzonen für Kinder ist an sich nicht neu.
Neben einigen, mehr oder minder erfolgreichen kommerziellen Anbietern
gibt es auch entsprechende Projekte, die etwa von Schulbehörden
betrieben werden. In einer Analogie zur Mauer um Kindergarten
oder Schulhof nennt man
solche Zonen "Walled Gardens", Gärten mit Mauer. Im Rahmen des
National Grid for Learning bewähren sie sich in Großbritannien
in einigen Modellversuchen seit Jahren. Dort unterhalten kooperierende
Schulen letztlich Schüler-Extranets, aus denen heraus Schüler
durch die Zuweisung entsprechender Rechte sukzessive freier im
Web surfen können. Hinein
kommt man in einen solchen Walled Garden nur mit dem entsprechenden
Passwort.
So entstehen letztlich Netze im Netz. Der Versuch jedoch, eine
frei zugängliche Kinderzone zu schaffen, ist neu - und vieles
spricht dafür. Walled Gardens können sehr attraktiv sein und ihren
"Bewohnern" viel bieten. Ihre Größe jedoch ist beschränkt, während
das freie Internet ein nur teilweise lohnendes Überangebot bietet.
Das große Problem, vor dem Eltern, Erzieher und Lehrer stehen,
ist, ihren Kindern die Perlen in diesem Netzwerk erschließen zu
können, ohne die Kinder auf der Suche danach durch unzählige Jauchegruben
zu jagen. Zwanzig Prozent aller Kinder mit Weberfahrung zwischen
10 und 17 Jahren, das ist einer aktuellen Studie zu entnehmen,
sind im Internet schon sexuell
belästigt oder mit sexuellen Intentionen kontaktiert worden.
Genau das will "kids.us" abstellen: Der US-Kongress hofft, mit
dem Gesetzentwurf eine Plattform zu schaffen, auf der Perlen veröffentlicht
werden - und sonst nichts.
Bis erste Kinder-Browser angeboten werden, die nur im Kids-Raum
surfen, dürfte kaum viel Zeit vergehen: Der Ansatz klingt weit
logischer und viel versprechender, als die weitgehend infunktionale
Filtertechnologie, auf die man auch in Europa gern setzt. Jetzt
müssen noch die entsprechenden Inhalte folgen, und das wird seine
Zeit dauern. Doch schon der Versuch, eine
Kinderschutzzone zu schaffen, ist ehrenwert und überfällig. In
Europa hat die Diskussion darum noch nicht einmal richtig begonnen.
Unser Kommentar: Meldungen über Gewaltverbrecher, die ihre Opfer mittels Internet
suchen, oder fatale Einflüsse mancher Netzinhalte schüren die
Ängste vieler Eltern und lassen ein oft dramatisches Bild des
vom Internet ausgehenden Gefahrenpotentials entstehen. Wer - auf
diese verständlichen Ängste abzielend - verspricht, Gefahren für
Kinder im Internet vollständig auszuschalten, auch wenn es sich
dabei lediglich um Randerscheinungen dieses weltweiten Informations-
und Kommunikationsmediums handeln mag, kann sich folglich allseitigen
Beifalls sicher sein.
Fraglich bleibt, ob die geschlossene Subdomain für Kinder halten
kann was Bush verspricht, und tatsächlich eine notwendige und
geeignete Maßnahme ist, um Sicherheit für Kinder im Netz zu gewährleisten.
Das fragte auch Der Spiegel im Anschluss an diesen Bericht seine
Leser mittels folgender Online-Umfrage:
"Kinder-Schutz-Zone: Brauchen wir ein Web mit Aufsicht?
Das Internet ist groß, reichhaltig - und schmutzig. Nur eine Minderheit
unter den Eltern beaufsichtigt Kinder beim Surfen. Kindgerechte
Inhalte im Datenwust zu finden, ist eine Kunst für sich. Brauchen
auch wir eine (möglichst reich gefüllte) Schutzzone für Kinder?"
In der Zeit vom 6.12. bis zum 11.12.2002 beteiligten sich insgesamt
921 Personen an der Umfrage. Sie wählten aus 4 vorgegebenen Antwortmöglichkeiten:
- "Natürlich: Einen Spaß-, Kommunikations- und Lernraum, in
dem unsere Kinder angstfrei surfen können - und wir ihnen das
auch mit gutem Gewissen erlauben" Diese Antwort gaben 371 Personen,
das sind 40.28%. (Anmerkung: Um einen attraktiven Kommunikationsraum
wird es sich kaum handeln, wenn instant messaging und chat stark
eingeschränkt werden sollen)
- "Das ist keine Lösung, Filter reichen, elterliche Aufsicht
ist noch besser: Nur so lernen Kinder, Müll von Perlen zu unterscheiden."
Dieser Aussage schlossen sich 181 Personen (19.66%) an.
- "Zensur jeder Art ist abzulehnen. Das Web ist, wie es ist,
ein Spiegel der Welt: Kinder müssen lernen, damit fertig zu werden"
sagten 352 Umfrage-Teilnehmer (38.27%)
- "Ich enthalte mich" 17 Personen (1.83%)
Die Mehrheit (57.9%) der befragten Personen stellte sich also
gegen die kids-domain, wobei der größere Teil dieser Personen
Zensurmaßnahmen im Allgemeinen ablehnte und ein kleinerer Teil
die Meinung vertrat, elterliche Aufsicht bzw. Filter wären geeignete
Lösungen, nicht jedoch eine abgeriegelte Schutzzone. 40.28 %
befürworteten die Schutzzone.
Ein kaum verwunderliches Ergebnis an einer Online-Umfrage teilnehmende
Internetnutzer haben durch ihre Erfahrung eine weniger angstbesetzte
Einstellung zum Internet, während Vorbehalte gegen das Internet
häufig einfach durch Unkenntnis desselben hervorgerufen werden.
Ob der "Walled Garden" tatsächlich sehr attraktiv sein und den
Benützern viel zu bieten haben kann, wie Frank Patalong in seinem
Artikel schreibt, bleibt abzuwarten viele Anbieter wertvollen
online-contents werden die durch ständige Kontrolle des Inhalts
verursachten Mehrkosten einer Präsenz in der kids.us-domain vielleicht
weder aufbringen können noch wollen, während andere, die Kinder
als Zielgruppe haben, sich um diese Gelegenheit reißen werden.
Die Kinderschutzzone könnte dadurch ein Weltbild vermitteln, das
gar nicht so unbedenklich ist wie beabsichtigt.
Außer Frage steht, dass das Internet ein realer, nicht mehr wegzudenkender
Teil unserer Welt ist und die Chancen dieses Mediums Kindern nicht
vorenthalten werden dürfen. Die eigentliche Gefahr besteht nicht
so sehr in der Konfrontation eines Kindes mit ungeeigneten, potentiell
gefährlichen Inhalten, sondern vielmehr darin, dass Eltern ihr
Kind mit dem Netz alleine lassen und ihm nicht helfen, kritisch
und eigenverantwortlich mit Inhalten und Funktionen des Internet
umgehen zu lernen.
Kinder "ruhigen Gewissens" in einer sogenannten "Schutzzone"
aus dem Netz auszusperren kann demzufolge nur eine äußerst kurzfristige
Lösung sein - die Gefahren verschwinden nicht, und irgendwann
werden die Kinder doch damit konfrontiert, nicht zuhause am entsprechend
gesicherten Computer, sondern vielleicht bei Freunden oder im
Internetcafe, alleine und unvorbereitet.
Verbote sind keine adäquate Reaktion auf wachsendes Interesse
an den Möglichkeiten des Internet, für Kinder ungeeignete Bereiche
werden erst durch Verbote interessant, machen neugierig und provozieren
Umgehungsversuche.
Die "Schutzzone" wird den Eltern nicht die Verantwortung abnehmen
können, ihre Kinder beim Kennenlernen des Netzes zu begleiten
und sie durch Auseinandersetzung, Aufklärung - generell Kommunikation
- zu unterstützen.
Es ist meiner Ansicht nach nicht nötig, sich dabei zu viele Sorgen
zu machen: Kinder entdecken das Internet eher nach und nach in
kleinen Schritten und wachsen dabei ganz selbstverständlich ins
Netz hinein.
Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen
Anmerkungen zur Internet-Generation
Erziehung im Cyberzeitalter
Gelehrige Computer-Kids
Suchende Screenager im medialen Universum
Internet von Teenagern nicht überbewertet
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